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VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK
UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD
Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky
So ausfĂŒhrlich sich Thomas Bernhard in der ersten HĂ€lfte der 1950er Jahre als
Literatur-, Film- und Theaterkritiker fĂŒr verschiedene Zeitungen betĂ€tigt hatte,
so abrupt kam seine Arbeit als Rezensent in der Folge zum Erliegen. WĂ€hrend
der Eintritt Peter Handkes ins literarische Feld und sein Aufstieg zu einem der
prĂ€genden Autoren des Suhrkamp Verlags mit dem bestĂ€ndigen Schreiben ĂŒber
BĂŒcher anderer Schriftstellerinnen und Schriftsteller einherging, ist der Fall bei
Bernhard ganz anders gelagert. Der gefeierte Prosa- und Theaterautor der 1960er
und 1970er Jahre brachte sich, ganz im Gegensatz zu Handke, nicht mehr als
Rezensent in zeitgenössische Literaturdebatten ein. Erst Anfang der 1980er Jahre
trat er erneut mit einer Buchkritik an die Ăffentlichkeit â und löste mit ihr, weil
er darin den österreichischen Bundeskanzler mit polemischer Verve attackierte,
sogleich einen veritablen Skandal aus. Bei dem von Bernhard besprochenen Buch
handelte es sich um einen Anfang 1981 anlÀsslich des 70. Geburtstags von Bruno
Kreisky zusammengestellten Band mit Fotografien von Konrad R. MĂŒller und
Texten der beiden Schriftsteller Gerhard Roth und Peter Turrini.1 Die Rezension
wurde am 26.Â
Januar 1981 in der Wiener Wochenzeitschrift profil unter dem Titel
Der pensionierte Salonsozialist als âGastkommentarâ veröffentlicht. Eine Woche
darauf teilte Bernhard seinem Verleger Siegfried Unseld mit, er habe â[n]ach
dreissig Jahren [âŠ] wieder einmal eine Buchbesprechung veröffentlicht, die bei
mir bestellt worden ist[,] und prompt eine Menge aufgescheucht.â 2 Auch wenn
Bernhard die Zeitspanne zwischen seiner letzten Buchkritik und dem Verriss des
Kreisky-Bandes etwas ĂŒbertreibtÂ
â seine Besprechung der Weinheber-Werkausgabe
war im Februar 1955, also vor 26Â
Jahren, im MĂŒnchner Merkur erschienen 3Â
â, war
ihm doch bewusst, dass er sich mit Der pensionierte Salonsozialist auf ein publi-
zistisches Terrain begab, das er eigentlich vor langer Zeit hinter sich gelassen hatte.
1 Vgl. Bruno Kreisky. Fotografiert v. Konrad R. MĂŒller. Texte v. Gerhard Roth u. Peter Turrini.
Berlin, Wien: Nicolai/Forum 1981.
2 Thomas Bernhard an Siegfried Unseld, 3. 2. 1981. In: T. B./S. U.: Der Briefwechsel. Hg. v. Raimund
Fellinger, Martin Huber u. Julia Ketterer. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2009, S. 619.
3 In den folgenden Monaten veröffentlichte Bernhard zwar noch einen Bericht ĂŒber eine Lesung
Bernt von Heiselers in den Salzburger Nachrichten (8. 9. 1955), die vielzitierte Polemik Salz-
burg wartet auf ein TheaterstĂŒck in der Wiener Furche (3. 12. 1955) sowie einzelne Artikel ĂŒber
Kunstausstellungen, aber keine formale âBuchbesprechungâ mehr; vgl. dazu den Kommentar
in TBW 22.1, 785 â 788.
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471