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Disposition hingewiesen: âDie Aggressionen, der Zorn und der HaĂ sind in
mir sehr stark. Das ist ein grober Widerpart zu meinem starken BedĂŒrfnis nach
Friede und Versöhnung, was fĂŒr mich das geltende Gesetz ist. Aber die Ener-
gie, um dieses Gesetz zu formulieren, bekomme ich nur von meiner Aggressi-
vitĂ€t.â 148 Reich-Ranickis Besprechung von Langsame Heimkehr fĂŒhrte zu einer
nochmaligen VerschÀrfung des Konflikts zwischen den beiden Kontrahenten,
den Handke nun auf das Feld des fiktionalen Schreibens, d. h. auf sein heimat-
liches Territorium lenkte.
Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire)
Handkes Arbeit an dieser Erwiderung ist in den Werkmaterialien zur Lehre der
Sainte-Victoire, die im Deutschen Literaturarchiv in Marbach aufbewahrt wer-
den, dokumentiert: In ersten EntwĂŒrfen zum Kapitel âDer Sprung des Wolfsâ,
entstanden Ende MĂ€rz 1980, hatte Handke noch die Initialen Reich-Ranickis
(âMRRâ) notiert, diese im Zuge der weiteren Ausarbeitung der Passage aber
wieder gestrichen.149 Der explizite Verweis ist in der publizierten Fassung des
Textes vollstĂ€ndig getilgt: Dass das âErlebnis mit âmeinemâ Hundâ 150 am Rande
der Ortschaft Puyloubier auch das belastete VerhÀltnis von Autor und Kritiker
reflektiert und literarisch in Szene setzt, behielt Handke zunĂ€chst fĂŒr sich.151 In
zeitgenössischen Rezensionen des Buches ebenso wie in ersten Forschungs-
arbeiten zur Lehre taucht kein Hinweis auf diese Lesart auf; auch der attackierte
Kritiker meldete sich vorerst nicht selbst zu Wort. Allerdings bezeichnete Franz
Josef Görtz, ein enger Mitarbeiter Reich-Ranickis, den Band in der FAZ als
148 Renate PoĂarnig: âIch möchte nicht verehrt werdenâ. [GesprĂ€ch mit Peter Handke.] In: stern,
Nr.Â
40, 30. 9. 1982. Zu diesem Konflikt, auch in der erzÀhlerischen Anlage der Lehre der Sainte-
Victoire, vgl. Martina Kurz: Bild-Verdichtungen. CĂ©zannes Realisation als poetisches Prinzip bei
Rilke und Handke. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2003, S.Â
55; zum Problem des Hasses
in Handkes Texten, besonders im Journalband Das Gewicht der Welt, jetzt grundlegend Bohrer:
Mit Dolchen sprechen (Anm. 112), S. 428 â 441.
149 Vgl. dazu den detaillierten Kommentar von Christoph Kepplinger-Prinz. In: Handke online,
http://handkeonline.onb.ac.at/node/355 (Stand 14. 10. 2020).
150 Handke: Die Lehre der Sainte-Victoire (Anm. 10), S. 53.
151 Eine Anekdote am Rande: Gerade in den Wochen, in denen Handke an der Lehre der Sainte-
Victoire schreibt, teilt Siegfried Unseld Thomas Bernhard die aktuellen RĂŒckmeldungen auf
die AnkĂŒndigung der âNeuen Folgeâ der âedition suhrkampâ mit; die kritische Aufnahme der
neuen Reihe im Feuilleton beschreibt Unseld als das Gebell von Hunden: âIch höre gerne, daĂ
Sie so konzentriert an Ihren Arbeiten sitzen; ich tue das auch. Die Neue Folge der edition suhr-
kamp ist angekĂŒndigt; die Hunde bellen, die Karawane aber zieht weiter.â (Siegfried Unseld an
Thomas Bernhard, 4. 3. 1980. In: T. B./S. U.: Der Briefwechsel. Hg. v. Raimund Fellinger, Martin
Huber u. Julia Ketterer. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2009, S. 589)
Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471