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Das moralische Recht fĂŒr Ihre Rede ist ganz auf Ihrer Seite, und ich stehe hier hinter
Ihnen. Sie sollen aber nicht verkennen, daĂ Sie mit Ihrer Rede GefĂŒhle anderer ver-
letzt haben.Â
[âŠ] Also, seien Sie stark, ziehen Sie sich auf sich selbst zurĂŒck, schreiben
Sie das Buch. Alles andere ist unwichtig.49
âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ:
Handkes Hornissen nach Princeton
Bereits ein Jahr zuvor hatte der Verleger mit Peter Handke eine vergleichbare
Diskussion gefĂŒhrt: Als der Autor sich am 22.Â
MĂ€rz 1966 bei Siegfried Unseld fĂŒr
die Zusendung der ersten Besprechung zu seinem DebĂŒtroman Die Hornissen
bedankt, zeigt er sich auch von deren stilistischer QualitĂ€t angetan: âDie Kritik
in der âFAZâ hat mir sehr gefallen, sie ist, glaube ich, auch gut geschrieben.â 50
TatsÀchlich schien Helmut Scheffels Rezension in der Frankfurter Allgemei-
nen Zeitung vom 15.Â
MĂ€rz 1966 einen vielversprechenden Auftakt fĂŒr Handkes
Wahrnehmung als neuer Suhrkamp-Autor im deutschen Feuilleton zu bilden,
positionierte der Kritiker Handkes Roman doch nicht nur als legitimen Erben
einer innovatorischen Kunsttradition, sondern attestierte ihm darĂŒber hinaus
eine nachgerade wegweisende Funktion fĂŒr die aktuelle Entwicklung der Lite-
ratur: Der Roman sei zwar, so Scheffel, der schon 1959 Roland Barthesâ Le degrĂ©
zĂ©ro de lâĂ©criture fĂŒr den Hamburger Claassen Verlag ins Deutsche ĂŒbersetzt
hatte 51 und mit den literarischen und literaturtheoretischen Debatten der Zeit
vertraut war,
49 Unseld an Bernhard, 18. 3. 1968. In: ebd., S.Â
71 f. Zur Kontroverse Bernhard/Eisenreich vgl. auch:
Sehr geschĂ€tzte Redaktion (Anm. 36), S. 21 â 25.
50 Handke an Unseld, 22. 3. 1966. In: Handke/Unseld: Der Briefwechsel (Anm. 16), S. 32. â Noch
Mitte der 1970er Jahre erinnerte sich Handke im GesprÀch mit Manfred Durzak mit Wohlwollen
an diese erste wertschĂ€tzende Analyse seines DebĂŒtromans. Vgl. Manfred Durzak: FĂŒr mich ist
Literatur auch eine Lebenshaltung. GesprĂ€ch mit Peter Handke. [1973] In: M. D.: GesprĂ€ch ĂŒber
den Roman. Formbestimmungen und Analysen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1976, S. 314 â 343,
hier S. 316; dazu Adolf Haslinger: Peter Handke. Jugend eines Schriftstellers. Salzburg, Wien:
Residenz 1992, S.Â
106, der âdie erste Kritik von Helmut Scheffelâ als âeine der sachlichsten und
besten zu diesem Romanâ einordnet.
51 Vgl. Roland Barthes: Am Nullpunkt der Literatur. Objektive Literatur. Aus dem Französi-
schen v. Helmut Scheffel. Hamburg: Claassen 1959. Vgl. zu Scheffels Rolle fĂŒr die Rezeption
des Strukturalismus und des nouveau roman in Deutschland Clemens Ăzelt: KlangrĂ€ume bei
Peter Handke. Versuch einer polyperspektivischen Motivforschung. Wien: BraumĂŒller 2012,
S. 87: âScheffel war [âŠ] durch seine Ăbersetzungen von Robbe-Grillets erzĂ€hltheoretischen
Arbeiten, Roland Barthes [sic] Am Nullpunkt der Literatur und zahlreichen Texten von Michel
Butor bereits 1966 soweit mit den Problemen, Fragestellungen und Perspektiven des Nouveau
Roman vertraut, um Handkes Auseinandersetzungen entsprechend wĂŒrdigen zu können.â
Handkes Hornissen nach Princeton 39
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471