Page - 108 - in Wien als Festungsstadt im 16.Jahrhundert - Zum kartografischen Werk der Mailänder Familie Angielini
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hat man zu beachten, dass im Kontext der osmanischen Kartografie eben nicht nur die
Anfertigung von Karten- und Planmaterial, sondern auch das Erstellen von eingehen-
den Verzeichnissen im Zusammenhang mit der Einhebung von Einkünften eine ganz
große Rolle spielte.27 Dass es sich bei dem in Vorbereitung der Eroberung von Buda
1541 angelegten »Eroberungsplan« ebenfalls um keinen »Plan«, sondern um ein Ver-
zeichnis handelte, wurde schon an anderer Stelle ausgeführt.28 Das hohe Interesse an
Karten schloss
– kaum anders als im Westen
– auch die oberste Spitze des Reiches, den
Sultan, mit ein, und dies lässt sich schon für den Eroberer von Konstantinopel, Sultan
Mehmed II., erkennen. In den Archiven des Topkapı-Palastes in Istanbul gab es Karten-
und Planmaterial im Kontext der großen militärischen Unternehmungen bereits ab der
Belagerung von Kiev unter Sultan Bāyezīd II. (1481–1512).29
Ganz generell ist für die frühe osmanische Kartografie – in mancher Hinsicht
durchaus den Verhältnissen im Westen ähnelnd
– zu unterstreichen, welch große Rolle
die Glorifizierung des Sultans spielte. Überliefert sind etwa Bildwerke, die mit ihrem
Charakter als Ansichten zwar solchen aus dem christlichen Westen nahe stehen, aller-
dings ungleich weniger ausgeprägten Realitätscharakter aufwiesen als vielmehr Mittel
der Verherrlichung des obersten Herrschers waren. Zu nennen ist etwa das »Buch der
Errungenschaften« (hünername) des osmanischen Hofpanegyrikers Lokman ibn Seyyid
Hüseyin (gest. 1601/02), das Darstellungen enthält, die Sultan Süleyman den Prächti-
gen auf seinem von Festung zu Festung führenden Zug durch den Balkan zeigen, wobei
bei jeder Festung Huldigungsszenen erfolgen. Eine eindrucksvolle Darstellung gibt es
darin von Buda mit der Huldigung des Johann Sigismund Zápolya/Szapolyai vor dem
Sultan, nachdem dieser 1541 die Stadt gegen einen Angriff der Habsburger verteidigt
hatte. In Buda selbst ist ein Minarett zu erkennen, von dem aus Muezzins zum Gebet
rufen. Darstellungen des Typus »Schlachtenbilder«, wie wir sie aus der abendländischen
Kartografie im Umfeld der Ereignisse der ersten Belagerung Wiens durch die Osma-
nen (1529) kennen, finden sich in der osmanischen Bildüberlieferung ebenso früh. Zu
nennen sind etwa die elaboriert illustrierten Werke des Matrakçı Nasuh (gest. 1564),
eines osmanischen Paschas, der Süleyman auf seinem Feldzug nach Bagdad in den
1530er Jahren begleitete und später an Feldzügen an der europäischen Front teilnahm.30
Ein außerordentlicher Zufall der Überlieferung ist es, dass just in Wien eine osma-
nische Kartenskizze liegt, und zwar des Teilbereiches zwischen Mur und Drau und
27 Ágoston, Environmental and Frontier Studies, 63, weist darauf hin, dass Halil Bey 1546 für den Raum
Buda solche Verzeichnisse anlegen ließ.
28 Siehe dazu oben S. 100 mit Anm. 36.
29 Ágoston, Environmental and Frontier Studies, 64.
30 Zur frühen osmanischen Kartografie vgl. Brummett, The Fortress, 50–55, sowie – zum Werk des
Matrakçı Nasuh – auch Ágoston, Environmental and Frontier Studies, 64 f.
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
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Wien als Festungsstadt im 16.Jahrhundert
Zum kartografischen Werk der Mailänder Familie Angielini
- Title
- Wien als Festungsstadt im 16.Jahrhundert
- Subtitle
- Zum kartografischen Werk der Mailänder Familie Angielini
- Authors
- Ferdinand Opll
- Heike Krause
- Christoph Sonnlechner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20210-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 586
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Inhalt
- Einleitung 9
- Die Angielinis, ihr Werk und Wirken 10
- Wien als Festungsstadt 13
- Terminologie und Onomastik 14
- Internet 16
- Abbildungen 17
- Dank 17
- 1 Die Familie Angielini und ihr kartografisches Schaffen 21
- 1.1 Biografisches 21
- 1.2 Das beruflich-persönliche Umfeld der Angielinis 38
- 1.3 Das kartografische Werk der Familie Angielini 44
- 1.4 Die Überlieferungen der »Angielini«-Atlanten in Wien, Dresden und Karlsruhe 51
- 1.5 Exkurs : Die in den fünf »Angielini«-Atlanten vorkommenden Wasserzeichen 52
- 1.6 Analyse und Autopsie der fünf »Angielini«-Atlanten 59
- 2 Der in den »Angielini«-Atlanten erfasste Raum 87
- 3 Der ungarische Raum und die Stadt Wien in frühen kartografischen Zeugnissen 101
- 4 Der frühneuzeitliche Festungsbau in Theorie und Praxis 127
- 5 Wien wird Festungsstadt – Der Ausbau nach der Belagerung von 1529 bis in die Mitte der 1560er Jahre 147
- 5.1 Die fortifikatorischen Folgen der Ersten Türkenbelagerung von Wien im Jahr 1529 147
- 5.2 Der Festungsbau aus umwelthistorischer Perspektive 197
- 6 Autopsie und Kontextualisierung der drei »Angielini«-Pläne von Wien 221
- 6.1 Das weitere Umfeld – eine Annäherung an die Stadt 221
- 6.2 Die unmittelbare Umgebung der Stadt 228
- 6.3 Die Befestigung 250
- 6.3.1 Bastei bei dem Burgtor 252
- 6.3.2 Bastei zwischen Burg- und Schottentor 255
- 6.3.3 Bastei beim Schottentor 258
- 6.3.4 Elendbastei 261
- 6.3.5 Arsenal und Reste der mittelalterlichen Stadtmauer 263
- 6.3.6 Neutorbastei 267
- 6.3.7 Mittelalterliche Stadtmauer zwischen Werdertor und Piattaforma samt neuer Kurtine 268
- 6.3.8 Piattaforma 268
- 6.3.9 Mittelalterliche Stadtmauer zwischen Piattaforma und Biberbastei 270
- 6.3.10 Biberbastei 272
- 6.3.11 Bastei bei den Predigern 274
- 6.3.12 Stubentor und angrenzende Kurtinen 277
- 6.3.13 Untere Paradeisbastei 278
- 6.3.14 Unteres Zeughaus auf der Seilerstätte 281
- 6.3.15 Obere Paradeisbastei 282
- 6.3.16 Bastei beim Kärntner Tor 286
- 6.3.17 Mittelalterliche Stadtmauer und sogenannter Augustinerturm 290
- 6.3.18 Stadtgraben 292
- 6.3.19 Resümee 293
- 6.4 Das Stadtinnere 294
- 7 Zusammenfassung und Summary 305
- 8 Tafeln 313
- 9 Anhang 325
- 9.1 Die mit dem kartografischen Schaffen der Familie Angielini in Verbindung stehenden kartografischen Darstellungen 325
- 9.2 Anzahl der in den »Angielini«-Atlanten enthaltenen Stadtpläne, Festungsgrundrisse und -schrägansichten 457
- 9.3 Reihenfolge der in den Überlieferungen der »Angielini«-Atlanten enthaltenen kartografischen Darstellungen 459
- 9.4 Konkordanz der in den Stadtplänen, Festungsgrundrissen und -schrägansichten der »Angielini«-Atlanten verwendeten Ortsnamen 462
- 9.5 Italienische Festungsbaumeister des 16. Jahrhunderts (bis ca. 1580) und ihre Einsatzgebiete im habsburgisch-osmanischen Grenzbereich 466
- 9.6 Festungsbautraktate des 15. und 16. Jahrhunderts und ihre Autoren 479
- 9.7 Chronologisches Verzeichnis der im Buch häufig verwendeten Wien-Pläne und Wien-Ansichten (15.‒18. Jahrhundert) 483
- 10 Glossar 494
- 11 Verzeichnisse 499