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Thematisch bieten die musikdramatischen Werke der zweiten Hälfte des 17. Jahr-
hunderts, welche bis auf ganz wenige Ausnahmen immer auf italienischen Libretti
beruhen, eine begrenzte Anzahl von Stoffen, welche inhaltlich je nach Art der ge-
wünschten Anspielung auf aktuelle Fragen ausgewählt und ausgearbeitet werden.
Neben den pastoralen und bukolischen Themen der kleinen Libretti, welche be-
kannte mythologische Motive mit Hilfe z. B. von neuen Gründungslegenden, Fluss-
göttern oder Orakelsprüchen auf die unmittelbare Gegenwart übertragen, zeichnen
sich vor allem die Wiener Faschingsopern durch ihre in manchen Fällen bemer-
kenswerte Offenheit in der ironischen Interpretation historischer Ereignisse aus, so
dass einerseits bestimmte Mitglieder der Hofgesellschaft bloßgestellt werden und
andererseits die gesamte Hofgesellschaft über sich selbst in einem grotesken, in der
Vergangenheit angesiedelten Spiegelbild der gegenwärtigen Umstände lacht. Diese
relative Freiheit der Parodie scheint wohl nur durch die Tatsache möglich, dass in
dieser Epoche der Kaiser selbst in eine über Jahrzehnte stabile Gruppe von Künst-
lern (Librettisten, Komponisten, Bühnenbildner und Choreographen) eingebunden
ist, welche am Höhepunkt ihrer Perfektion die Wiener Hofoper tatsächlich zu einer
festlichen und politischen Repräsentation des Hofes durch den Hof selbst machen.
Die ausdrucksstärkste Gattung des höfischen Festprogrammes ist dabei ohne
Zweifel das historische Libretto der großen, drei- bis fünfaktigen Oper, in der die
aktuell wichtigen ideologischen Themen in Aufführungen dargestellt werden, deren
Aufwand jegliche selbst für Hofopern sonst übliche zeitliche und finanzielle Dimen-
sionen sprengt. Bei einer weiter gefassten Definition des historischen Librettos, die
auch mythologische Stoffe einschließt (ganz wie das der Tradition der antiken Ge-
schichtsschreibung bei Herodot oder Livius entspricht), können diese Libretti als
eine Kombination von Geschichte und Fiktion bezeichnet werden, wobei das histo-
rische Element immer dem Prinzip der historia magistra vitae gehorcht und folglich
als Vergleichsbasis für die panegyrische Allegorie am Schluss der Stücke herangezo-
gen wird, während die sentimentale Fiktion lediglich Unterhaltungscharakter hat.
Bei der erstaunlichen Vielfalt ihrer Themen konzentrieren sich die Librettisten
der Hofopern dieser Zeit vor allem auf vier Gebiete: die orientalisch-antike Über-
lieferung, die griechischen Stoffe, die römische Geschichte, sowie mittelalterliche
Themen. Ein wichtiges Auswahlkriterium stellt natürlich die Übertragbarkeit der
allegorischen Inhalte auf die zeitgenössische Situation bei Hof und den Anlass des
Stückes dar. Eines der gelungensten Beispiele dafür ist sicher Nicolò Minatos Il fuoco
eterno custodito dalle Vestali (1674), worin das im republikanischen Rom von den Ves-
talinnen gehütete Feuer mit dem Haus Österreich gleichzusetzen wäre, das Claudia
(= Kaiserin Claudia Felicitas) dadurch wieder entfacht, dass sie das Schiff mit dem
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Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Band I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die italienische Literatur in Österreich
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1797
- Band
- I
- Autor
- Alfred Noe
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 780
- Schlagwörter
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549