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Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen
Frühaufklärung100
In Zentraleuropa konzentriert sich diese protestantische Zuwanderung aus Italien
auf Ostungarn (vorwiegend das Gebiet von Debrecen) und Südpolen, vor allem um
Krakau. Der in Siena geborene Bernardino Ochino (1487–1564), ab 1538 Ordens-
general der Kapuziner, flieht 1542 zunächst nach Genf, wo er später auch seinen
heftigsten Angriff gegen die katholische Kirche, die Apologi nelle quali si scuoprano li
abusi, sciocheze, superstitioni, errori, idolatrie & impietà della sinagoga del Papa: & special-
mente de’ suoi preti, monaci & frati (Calvinopoli 1554) 192 veröffentlicht. Nach einer
turbulenten Karriere als Wanderprediger in italienischsprachigen Gemeinden des
evangelischen Europas (vor allem in Basel, Augsburg, Straßburg und London) er-
regt Ochino mit seinen individuellen Ansichten den Unwillen seiner calvinistischen
Gastgeber und muss ohne festen Wohnsitz in Mitteleuropa herumirren, bevor er
1564 in Slavkov bei Brünn in Mähren an der Pest stirbt.
Auch der aus Saluzzo stammende Arzt Giorgio Biandrata (auch: Georgius
Blandrata, 1515–90) flieht wegen seiner religiösen Ideen zunächst nach Genf. Er ver-
lässt die Hauptstadt des Kalvinismus wegen diverser Konflikte 1558, um zuerst nach
Polen, dann 1563 nach Ostungarn bzw. Siebenbürgen zu ziehen, wo er im Kontakt
mit Fausto Sozzini Unitarier- bzw. Antitrinitarier-Gemeinden gründet. Als Leibarzt
von Johann Sigismund Zápolya bringt es Biandrata nicht nur zu materiellem Wohl-
stand, er erreicht auch eine freie Religionsausübung für seine Glaubensbrüder. Unter
Stephan Báthory, dem ab 1571 herrschenden katholischen Nachfolger von Zápolya,
bewahrt Biandrata angeblich durch konfessionelle Kompromisse seinen Einfluss und
beteiligt sich sogar an Verfolgungen allzu radikaler Antitrinitarier.
Der bedeutendste protestantische Theologe unter den italienischen Emi-
granten ist wohl der in Siena geborene Fausto Sozzini (auch: Socini oder Sozini,
1539 –1604), der 1559 ins Exil geht und ab 1562 ausgehend vom geistigen Nach-
lass seines Onkels Lelio in Zürich den Sozinianismus, eine Variante der unitarischen
Kirche, entwickelt. Nach seiner Rückkehr in die Toskana und einem mehrjährigen
Aufenthalt am Hof von Florenz flieht Sozzini 1574 vor der römischen Inquisition
nach Basel. 1578 versucht er vergeblich, in Siebenbürgen den Konflikt zwischen Bi-
andrata und seinen Gegnern zu entschärfen, und begibt sich 1579 nach Polen. Auf
Grund diverser Verfolgungen durch Vertreter der Universität Krakau lebt Sozzini
schließlich unter dem Schutz des Provinzadels als Oberhaupt der unitarischen Kir-
192 Vgl. Glen G. Williams: The theology of Bernardino Ochino. Diss. Tübingen 1955; und zu seiner Be-
deutung für die Geschichte der deutschen Lyrik Philip M. J. McNair: Zu dem Basthardischen Christen-
thumb. The Italian Background to the first known Sonnet in German. In: D. H. Green / L. P. Johnson /
D. Wuttke (Hg.): From Wolfram and Petrarch to Goethe and Grass. Studies in Literature in Honour of
Leonard Forster. Baden-Baden 1982, S. 257–264.
Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Band I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die italienische Literatur in Österreich
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1797
- Band
- I
- Autor
- Alfred Noe
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 780
- Schlagwörter
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549