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255Geistliche
Musikdramen und Oratorien
einer immer konsequenteren Weise versucht der Autor, über die Personifikationen
von theologischen Ideen, symbolischen Handlungen oder religiösen Institutionen die
Stationen des Kreuzweges zur Sprache zu bringen. Minato gehört durch die von ihm
gewählten theologischen Konzepte und philosophischen Gedanken ohne Zweifel zu
den profundesten Librettisten seiner Zeit. Der Kaiserhof und vor allem Leopold I.,
der regelmäßig mit seiner Musik zum Prestige der Texte beiträgt, wissen das offen-
kundig zu schätzen und zeichnen den Autor über seinen Tod am 28. Februar oder
1. März 1698 hinaus durch die kontinuierliche Aufführung seiner Werke aus.
Am Karsamstag, den 6. April 1697, werden bei den Ursulinen vor dem Hl. Grab
L’invenzione della croce. Oratorio von P. Paolini Massimi und Il Pianto di Maria Vergine
e di Santa Maria Maddalena al S. Sepolcro raddolcito dalla consolatione. Oratorio, beide
mit der Musik von Badia, in Gegenwart des Kaisers gespielt.
In der Fastenzeit 1698 werden in der Hofburgkapelle zwei neue Oratorien unbe-
kannter Autoren aufgeführt: Ismaele esiliato mit der Musik von Bicilli und Le Vicende
di Giosafatte, re di Giuda overo l’Effetto de’ buoni, e de’ cattivi Consigli in der Vertonung
von Badia. Am Karsamstag, den 29. März 1698, werden bei den Ursulinen die Ora-
torien La sepoltura di Christo des völlig unbekannten Renato Batticassa Navagini und
Il ritorno di Tobia des biographisch kaum fassbaren Paolo Antonio Del Negro, beide
in der Vertonung von Badia, dargeboten.
In der Fastenzeit 1699 schließlich werden neben dem in Text und Musik anony-
men L’Adamo zwei Oratorien über Heiligenfiguren gespielt: das bereits 1693 in Rom
aufgeführte San Nicola da Bari von Silvio Stampiglia in der Vertonung von Giovanni
Bononcini und San Sigismondo von Domenico Bernardoni mit der Musik von Dome-
nico Gabrielli (~1640–90, genannt Menghino dal Violoncello). Mit diesen Werken
kündigt sich ein Generationenwechsel bei den Autoren und Komponisten an: Der
1664 in Lanuvio geborene und 1725 in Neapel verstorbene Stampiglia ist Grün-
dungsmitglied der Accademia dell’Arcadia in Rom und erregt in Neapel ab 1696 mit
seinen eigenen Libretti und Bearbeitungen von Texten Minatos Aufmerksamkeit.511
1706 von Joseph I. an den Kaiserhof berufen, verfasst Stampiglia in Wien bis 1718
sowohl historische Musikdramen als auch Oratorien. Nach seiner Rückkehr nach
Italien (1718–22 in Rom, ab 1722 in Neapel) wird er weiterhin regelmäßig vom Kai-
serhof mit Huldigungswerken für Kaiserin Elisabeth Christine sowie einem Ora-
torium beauftragt. Stampiglias größte Erfolge sind Camilla in ihren verschiedenen
511 Vgl. Raffaele Mellace: Teoria e prassi del melodramma. In: Francesco Cotticelli / Paologiovanni Maione
(Hg.): Storia della musica e dello spettacolo a Napoli. Il Settecento. I. Neapel 2009, S. 413–454; bzw.
Theorie und Praxis des melodramma. In: Musik und Theater in Neapel im 18. Jahrhundert. Kassel 2010,
S. 443–489; hier S. 445–456.
Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Band I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die italienische Literatur in Österreich
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1797
- Band
- I
- Autor
- Alfred Noe
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 780
- Schlagwörter
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549