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Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im
Barock364
Am 28. November 1691 wird mit zwei Wochen Verspätung zum Namenstag des Kai-
sers Minatos Le attioni fortunate di Perseo. Festa con quattro eroici balletti in vier Aufzü-
gen und Licenza mit der Musik von Draghi und A. A. Schmelzer in vier Bühnenbil-
dern von Burnacini und der Choreographie von D. Ventura dargeboten. Es handelt
sich dabei um die vier spektakulärsten Episoden aus der Perseus-Legende, wie sie
bei Hesiod (Theogonie, 274–280), Ovid (Metamorphosen IV) und Hyginus (Fabula
LXIV) zu finden sind. In der ersten Aktion bezwingt Perseo die Gorgone Medusa; in
der zweiten befreit er die von den Nereiden an eine Klippe gebundene Andromeda;
in der dritten verwandelt er den Andromeda nachstellenden Atlante in einen Berg;
in der vierten schlägt einen von Andromedas enttäuschtem Liebhaber Fineo ange-
zettelten Aufstand nieder. Jede Aktion wird von einem Tanz begleitet, in dem neben
Erzherzog Joseph noch weitere Mitglieder der kaiserlichen Familie und des Hofes
auftreten. Die Allegorie scheint offenkundig: Kaiser Leopold I. ist der moderne Per-
seus, welcher vor allem die Schreckensgestalt des Protestantismus und den Drachen
des osmanischen Reiches bezwingt.
Die Person des Kaisers steht ebenfalls im Zentrum der Aufmerksamkeit bei der
am 18. Juni 1692 zum Geburtstag Leopolds in der Favorita gespielten Le varietà di
Fortuna in L. I. Bruto. Festa per musica von Minato in der Vertonung von Draghi,
Leopold I. und A. A. Schmelzer. In drei Akten mit Licenza und drei Balletteinlagen
von D. Ventura in neun Bühnenbildern von Burnacini werden die Wechselfälle des
Glücks und die Herrschertugenden am Beispiel der aus Titus Livius (Historiarum li-
bri I–II) übernommenen Figur von Lucius Junius Brutus dargestellt. Brutus, dem das
Orakel in Delphi die Nachfolge des Königs Tarquinius Superbus vorhersagt, rettet
sich vor den daraus resultierenden politischen Nachstellungen, indem er sich vorerst
für geisteskrank ausgibt. Als er aber nach der Vergewaltigung Lucrezias gemeinsam
mit deren Gatten Collaltino die Tarquinier vertreibt, wird er zum Befreier Roms.
Als Konsul muss er jedoch entdecken, dass seine beiden Söhne an einer Verschwö-
rung zugunsten der Wiederkehr der Tarquinier beteiligt sind. Er lässt sie schwer be-
strafen, um die Freiheit Roms zu sichern. Mehr noch – so die aktualisierte Aussage
– wie L. J. Brutus steht Leopold I. über dem Schicksal der Einzelnen und garantiert
die Freiheit des römischen Reiches. Offensichtlich nicht ohne Grund ist er in dem
nach Lucius Junius Brutus benannten Monat geboren, wie im Schlussballett (wie-
der mit Erzherzog Joseph und anderen prominenten Tänzern) Libertà und Saturno
noch ausführen.
Konsequent weiter verfolgt wird diese thematische Linie in Minatos am 27. No-
vember 1692 zum Namenstag des Kaisers aufgeführten Il vincitor magnanimo, T.
Quintio Flaminio. Drama per musica in drei Akten mit der Musik von Draghi, Leo-
Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Band I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die italienische Literatur in Österreich
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1797
- Band
- I
- Autor
- Alfred Noe
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 780
- Schlagwörter
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549