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Die Verbreitung der italienischen
Literatur544
Zahl als auch ihre geographische Verteilung übertrifft aus diesem Grund die Über-
setzungstätigkeit des Hofes, für welche vor allem die deutschen Hofpoeten zustän-
dig sind. Dazu zählen Johann Albrecht Rudolph, Karl Ignaz Langetl, Joseph Triller,
Anton Prokopp (auch Prokoff) und Johann Karl Newen (1683–1767), von welchen
oft nicht einmal biographische Grunddaten bekannt sind. Dies scheint umso be-
dauerlicher, als ihre Textversionen eine wichtige Zwischenstation darstellen bei der
für die Zeit charakteristischen Verarbeitung der Libretti der Hofoper zu deutschen
Singspielen in Norddeutschland (vor allem Hamburg) sowie deren weitere Umge-
staltung durch die Schauspielertruppen zu Stücken der Wanderbühne.
Diesen Weg kann man exemplarisch – wie dargestellt – an Minatos Creso (Wien
1678) verfolgen:951 Lucas von Bostel (1649–1716) adaptiert in Der Hochmüthige/ Ge-
stürtzte/ und Wider-Erhobene Croesus Minatos Hofoper unter Verzicht auf die typi-
schen Elemente dieser Gattung zu einem deutschen Singspiel, das erstmals 1684
in Hamburg von Johann Philipp Förtsch (1652–1732) vertont wird. Schon aus dem
Personenverzeichnis ist zu erkennen, dass die nun auftretenden Figuren auf das ei-
nem öffentlichen Theater entsprechende Maß reduziert werden. Es fehlen daher aus
wirtschaftlichen Überlegungen zahlreiche dekorative Nebenfiguren – vorwiegend
Vertreter eines Hofstaates, die nichts zur Handlung beitragen, sondern nur den
sinnlichen Eindruck der Repräsentationsaufführungen verstärken. Weiters fehlen
die prestigeträchtigen Aufzählungen der Scene, der Attioni, e Machine und der Balli,
welche den neuen Aufführungsbedingungen zumindest teilweise zum Opfer fallen.
Andererseits werden vermutlich unter dem Einfluss der venezianischen Opern-
tradition952 lustige Szenen hinzugefügt, welche leichtes Amüsement mit Lokalkolo-
rit, also in Hamburg auch Einlagen in regionalem Dialekt, versprechen. Diese Spaß-
macherszenen, welche offenkundig Themen und Formen zeitgenössischer Satiriker
imitieren (z.B. erinnern einige Passagen an Traiano Boccalinis Ragguagli di Parnaso),
bieten außerdem fallweise Freiraum für Improvisation, welcher in der Wanderbüh-
nenversion entsprechend ausgedehnt wird.
In dieser Rezeptionslinie von den italienischen Libretti der Hofoper über die
deutsche Singspielversion in Hamburg zum Wanderbühnenstück werden die in Ös-
terreich verfassten Texte der Poeti cesarei zu einem wichtigen Beitrag für die Ent-
wicklung der dramatischen Gattungen in Deutschland.
951 Vgl. Alfred Noe (Hg.): Spieltexte der Wanderbühne V.1. Italienische Spieltexte aus unveröffentlichten
Handschriften. Berlin 1999, S. 1–252, und Spieltexte der Wanderbühne VI. Kommentar. Berlin 2007,
S. 151–162.
952 Vgl. Florian Mehltretter: Die unmögliche Tragödie. Karnevalisierung und Gattungsmischung im vene-
zianischen Opernlibretto des siebzehnten Jahrhunderts. Frankfurt a.M. 1994.
Die italienische Literatur in Österreich
Von den Anfängen bis 1797, Band I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die italienische Literatur in Österreich
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1797
- Band
- I
- Autor
- Alfred Noe
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78730-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 780
- Schlagwörter
- Italian Literature, Habsburg Monarchy, Libretto, Court Festivities
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- I. Der italienische Humanismus in Österreich 27
- II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich 79
- II.1 Petrarkismus und protestantischer Adel 81
- II.2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen 87
- II.3 Barocke Akademien 92
- III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung 99
- III.1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen 101
- III.2 Die kontemplative Literatur für Laien 114
- III.3 Die katholische Frühaufklärung 127
- IV. Die italienische Improvisationskomödie 135
- V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199
- V.1 Die Bedeutung der Historiographie 208
- V.2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter 214
- V.3 Geistliche Musikdramen und Oratorien 218
- V.4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn des 17. Jahrhunderts 263
- V.5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen 274
- V.6 Ballette und Einleitungen zu Balletten 293
- V.7 Aufzüge und Rossballette 302
- V.8 Musikalische Feste 305
- V.9 Faschingsopern 314
- V.10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus 334
- V.11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus 369
- V.12 Hochzeitsopern 375
- VI. Die italienische Aufklärung in Österreich 385
- VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik 490
- VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur 531
- IX. Verzeichnis der Drucke 549