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diverse politische Fragen und Ereignisse oder religiöse Strömungen wie den Jan-
senismus oder den Deutschkatholizismus. Mit anderen Worten: Die Publikati-
onen auf den Verbotslisten liefern reichlich Anhaltspunkte dafür, dass die von
den Zensoren perhorreszierte Zirkulation von Ideen tatsächlich funktionierte.
Die Zirkulation von Texten und Ideen findet aber nicht nur zwischen ihren
Produzenten statt, mithin in einer zahlenmäßig kleinen Schicht von Gelehrten
oder doch Gebildeten, der Ideentransfer kann in einer Epoche wie jener zwi-
schen 1750 und 1850, in welcher der Buchmarkt und das Lesepublikum stark
wachsen und sich eine ‚bürgerliche Öffentlichkeit‘ im Sinn von Jürgen Haber-
mas herausbildet, unter Umständen tatsächlich ,epidemische‘ Ausmaße anneh-
men. Mit der Epochenschwelle 1750 wird ferner der Beginn der Säkularisierung
des Wissens angesetzt, der nicht nur eine bis dahin unerhörte Vielfalt und Ver-
breitung von Ideen bedingte, sondern auch eine Gegenbewegung auslöste, die
als „bureaucratization of knowledge“ bezeichnet werden kann und auf dem
„shutting away of information in a government bureau instead of making it pub-
lic“ beruhte. Es kommt zu einem Konflikt zwischen zwei widerstrebenden Prin-
zipien: „transparency versus opacity“ oder: Zugänglichkeit des Wissens für alle
versus Beschränkung auf die happy few.76
Prinzpiell kann Zensur bei allen Gliedern der Kommunikationskette vom
Autor zum Leser ansetzen, die Reinhard Aulich folgendermaßen aufschlüsselt:
[…] Niederschrift der Gedanken, Korrigieren, ggf. Kürzen; Selbst- und Fremdverlag,
mit allen Implikationen, einschließlich der marktgängigen Ausgestaltung des Druck-
werks; die technischen Abläufe der Vervielfältigung und die organisatorischen des
Vertriebes, unter Einschluß absatzfördernder Maßnahmen wie Preisgestaltung, Rekla-
me, Rezensionen; die Entscheidung des Konsumenten, sich das betreffende Produkt
zu kaufen, oder aber nur auszuleihen bzw. in einer Bibliothek einzusehen; schließlich
die Auseinandersetzung mit der Lektüre auf dem Hintergrund prädisponierter Ver-
wertungsabsichten.77
Die Zensur mischt sich in die Text- und Buchgestaltung (zum Beispiel in Form
von Illustrationen) ein, verhindert gegebenenfalls den Druck und im Fall von
bereits gedruckten Werken den Vertrieb, sie blockiert Werbemaßnahmen, die
Verbreitung durch Kolportage, Leihbibliotheken oder Lesevereine, kurz: Sie ver-
sucht, die Wirkung verpönter Texte so gering wie möglich zu halten. Die Text-
produzenten wichen natürlich auf eher unverdächtige bzw. unvorhersehbare
76 Peter Burke: A Social History of Knowledge revisited. In: Modern Intellectual History
4,3 (2007),
S. 521–535, hier S. 532.
77 Aulich: Elemente einer funktionalen Differenzierung, S. 215. Eine detaillierte „Matrix“ der
Parameter der Zensur skizziert Haefs: Art. „Zensur“, S. 559–560.
1.4. Wie gefährlich ist Literatur? 37
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510