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Theologie wurden, wie vorgesehen, von den Jesuiten betreut; um die Jurispru-
denz kümmerten sich zwei Professoren der juridischen Fakultät der Universität
Wien (Ignaz Aigner und Johann Adam Penz); im Fach Medizin zensierte Gerard
van Swieten, der 1759 auch den Vorsitz der Kommission übernahm, die histo-
risch-politischen Schriften und das öffentliche Recht wurden von Professoren
der Savoyschen und Theresianischen Akademie abgedeckt (Christian August
Beck, Paul Joseph Riegger und Johann Heinrich Gottlob Justi).29 Van Swieten
gelang es bald, sich zusätzlich zum medizinischen Fach auch die philosophischen
Schriften und die materies mixtae (in etwa: schöne Literatur) aus dem Kompe-
tenzbereich der Jesuiten zu sichern. Überdies machte er sich erfolgreich über
die Praxis der Jesuiten lustig, in Schriften zur Anatomie „Nuditäten“ zu bean-
standen,30 und übernahm in der Folge auch die Zensur der naturwissenschaft-
lichen Bücher. 1764 wurde der letzte verbliebene Jesuit aus der Kommission
verdrängt. Die jesuitischen Mitglieder wurden zwar durch Untergebene des Erz-
bischofs ersetzt, die laizistisch-staatliche Fraktion hatte im Kampf um die Zen-
surhoheit dennoch einen wichtigen Sieg davongetragen. Wie van Swieten beton-
te, konnte der Wiener Erzbischof zwar die geistlichen Mitglieder vorschlagen,
sie mussten aber von der Kaiserin bestätigt werden.31
Die Zensurreform stellte einen Teil der bekannten umfassenden Verwaltungs-
und Verfassungsreformen Maria Theresias dar, die eine moderne staatliche Admi-
nistration aufbauten. Im Zeichen der Aufklärung sollte die Zensur insbesonde-
re Ignoranz und Aberglauben zurückdrängen. „Auch konnten mit Hilfe der
Zensur die alten Formen von Sitten und Gebräuchen verändert werden, die in
den Augen der Aufklärer derb und roh schienen.“ So diente die Zensur „der
Verbreitung einer modernen, rigoroseren Moral und der Verfeinerung der
Umgangsformen“.32 Was als reiner Idealismus im Sinn der Veredelung der Mensch-
heit erscheinen mag, diente auch handfesten Interessen: Der moderne Staat
benötigte mündige, selbständige und vor allem gut informierte Bürger und öko-
nomische Subjekte. So wurde ein gemäßigter Reformkatholizismus (der Janse-
nismus) toleriert bzw. gefördert, die Schriften der Jesuiten wurden dagegen ab
1759 verboten, zumal man ihnen unterstellte, dass sie den Fürstenmord billig-
29 Vgl. Klingenstein: Staatsverwaltung und kirchliche Autorität, S.
161, und Franz Hadamowsky:
Ein Jahrhundert Literatur- und Theaterzensur in Österreich (1751–1848). In: Herbert Zeman
(Hg.): Die Österreichische Literatur. Ihr Profil an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert
(1750–1830). Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt 1979. Teil 1, S. 289–305, hier
S. 290.
30 Vgl. Klingenstein: Staatsverwaltung und kirchliche Autorität, S. 172.
31 Vgl. Fournier: Gerhard van Swieten als Censor, S.
462, und van Swietens Denkschrift im Anhang.
32 Grete Klingenstein: Van Swieten und die Zensur. In: Erna Lesky/Adam Wandruszka (Hg.):
Gerard van Swieten und seine Zeit. Wien, Köln, Graz: Böhlau 1973, S. 93–106, hier S. 104.
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
50 2. Im Dienst der Aufklärung: Die Zensur zwischen 1751 und 1791
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510