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selbst verboten war, wie oft behauptet wurde,54 ist nirgendwo belegt und darf
folglich bezweifelt werden.
In die 1760er Jahre reicht die Praxis zurück, zwischen den Gebildeten bzw.
Oberschichten und dem großen Publikum zu unterscheiden. Am 4. Oktober
1766 verkündete ein Hofdekret, dass fortan Bücher, die nur einige wenige anstö-
ßige Sätze enthielten, gebildeten Lesern genehmigt werden sollten.55 1766 wur-
de Christian Thomasius’ Werk Institutiones juris divini für das allgemeine Pub-
likum verboten, den Gelehrten aber gestattet. „Professoren wird so ziemlich alles
in die Hand gegeben“, schrieb Sonnenfels an Christian Adolph Klotz im Dezem-
ber 1768.56 Ähnlich wurden C. M. Wielands Beyträge zur Geschichte der Natur
und Bildung des menschlichen Herzens zwar nicht in den Catalogus librorum pro-
hibitorum aufgenommen, sie durften von den Buchhändlern aber nur an Gelehr-
te bzw. gegen Erlaubnisschein ausgegeben werden,57 desgleichen des Trierer
Bischofs Johann Nikolaus von Hontheim Justini Febronii de statu ecclesiae et
legitima potestate Romani pontificis (1763).58 Über die Praxis der Schedenverga-
be in der maria-theresianischen Epoche ist, abgesehen von solchen punktuellen
Belegen, leider bisher so gut wie nichts bekannt. Angehörige höchster Gesell-
schaftskreise hatten es meist gar nicht nötig, Scheden zu beantragen, sie benütz-
ten informelle Kanäle. So ließ sich Graf Karl Zinzendorf, wie er in seinem Tage-
buch vermerkt, während seiner Zeit als Gouverneur von Triest, das heißt zwischen
werteten Katalogen für die hier benützte Datenbank (http://univie.ac.at/zensur [zuletzt abge-
rufen am 03.03.2017]) einige weitere Quellen herangezogen wurden.
54 Diese Behauptung wurde bereits zeitgenössisch mit hämischem Unterton verbreitet, so in der
von Anton Friedrich Büsching herausgegebenen Zeitschrift Wöchentliche Nachrichten von neu-
en Landcharten, geographischen, statistischen und historischen Büchern und Schriften
5 (1777),
S. 302: „Die Censur hat den catalogum librorum prohibitorum verboten, damit diejenigen,
welche gute Bücher suchen, sich nicht nach demselben richten mögen.“ Auf diese Quelle beruft
sich Friedrich Nicolai in seinem Reisebericht (Beschreibung einer Reise, Bd. 4, S. 858), später
findet sich der Hinweis bei Fournier: Gerhard van Swieten als Censor, S. 421, bei Heinrich
Hubert Houben: Verbotene Literatur von der klassischen Zeit bis zur Gegenwart. Ein kri-
tisch-historisches Lexikon über verbotene Bücher, Zeitschriften und Theaterstücke, Schrift-
steller und Verleger. Bd. 1. Berlin: Rowohlt 1924 (Nachdruck Hildesheim, Zürich, New York:
Olms 1992), S. 97, bei Klingenstein: Staatsverwaltung und kirchliche Autorität, S. 201, und
vielen anderen.
55 Erwähnt und paraphrasiert bei Jean-Pierre Lavandier: Le livre au temps de Marie-Thérèse.
Code des lois de censure du livre pour les pays austro-bohémiens (1740–1780). Bern, Berlin,
Frankfurt/Main, New York, Paris, Wien: Peter Lang 1993, S. 90.
56 Zitiert bei Fournier: Gerhard van Swieten als Censor, S. 423. Das Zitat geht zurück auf: Briefe
von Sonnenfels. Als Beitrag zu seiner Biographie. Hg. v. Hermann Rollett. Wien: Braumüller
1874, S. 11.
57 Vgl. Friedrich Walter: Die zensurierten Klassiker. Neue Dokumente theresianisch-josephini-
scher Zensur. In: Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft 29 (1930), S. 142–147, hier S. 144.
58 Siehe Fournier: Gerhard van Swieten als Censor, S. 432–436.
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56 2. Im Dienst der Aufklärung: Die Zensur zwischen 1751 und 1791
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510