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neuesten Zeitgeschichte vorkommenden Erniedrigungen fähig zu machen“, ver-
hindert hatte. Die Franzosen hätten Pressfreiheit gewährt, allerdings nur für die
von ihnen zuvor erlaubten bzw. geduldeten Schriften. Die Verbreitung der Pucel-
le d’Orléans, des „schmutzigsten Produkt[s], welches die französische Literatur
in dieser Gattung aufzuweisen hat“, diene ihren Interessen, weil es „die dem
neuen System so verhaßten Triebfedern der wahren Ehre und eines männlichen
Freiheitssinnes“ lahmlege.48
Eine erkleckliche Anzahl in Österreich traditionell verpönter Bücher wurde
nach dem Abzug der Franzosen von Neuem verboten. Bereits gedruckte Ausga-
ben durften zuweilen verkauft werden, die Buchhändler mussten in solchen Fäl-
len Verzeichnisse der Abnehmer anlegen und der Polizei abliefern.49 Nicht nur
eine Reihe von Verlagen und Buchhändlern hatte sich kompromittiert, sondern
auch der Vorstand des Bücherrevisionsamtes Karl Escherich, der intensive und
freundschaftliche Beziehungen zu Franzosen unterhalten hatte. Er wurde nach
dem neuerlichen Systemwechsel umgehend in den Ruhestand versetzt.50 Ande-
rerseits wurden auch antifranzösische Propagandaschriften nach Beendigung
der Feindseligkeiten vernichtet, darunter Erzherzog Johanns an die Tiroler gerich-
teter Aufruf zum Widerstand.51
Im Jänner 1810 wurde ein vergleichsweise liberales Patent erlassen, die Vor-
schrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren.52
Napoleon hatte im August 1810 die Zensur in Frankreich und in den von ihm
kontrollierten linksrheinischen Gebieten eingeführt, im August 1810 und im
Februar 1811 folgten Dekrete, die rigorose Einschränkungen der Presse in Frank-
reich bedeuteten.53 Österreich versprach sich von einer vergleichsweise milden
Zensurregelung internationalen Prestigegewinn. Wie Friedrich von Gentz in
48 Über die neue Wiener Preßfreiheit (zuerst in: Österreichische Zeitung 1809, S. 107–108). In:
Friedrich Schlegel: Studien zur Geschichte und Politik. Eingeleitet u. hg. v. Ernst Behler. (Kri-
tische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Bd. 7) München, Paderborn, Wien: Schöningh, Zürich:
Thomas Verlag 1966, S. 96–99, hier S. 97 u. 98.
49 Vgl. dazu Karl Glossy: Schiller und Österreich. In: K. G.: Kleinere Schriften. Wien, Leipzig:
Fromme 1918, S. 18–37, hier S. 20.
50 Vgl. Schembor: Meinungsbeeinflussung durch Zensur, S. 51–54.
51 Vgl. Nagler: Regierung, Publizistik und öffentliche Meinung, S. 102.
52 Für diese Vorschrift von 1810 existiert ein durch den Präsidenten der Zensurhofstelle Hager
verfasster Entwurf, der liberaler als das Endprodukt war (abgedruckt bei Nagler: Regierung,
Publizistik und öffentliche Meinung, S. XV–XXI). Zum Beispiel hatte Hager völlige Freiheit
für wissenschaftliche Werke inklusive Zeitschriften und für ernsthafte Belletristik (,Klassiker‘)
gefordert.
53 Vgl. Pierre Horn: Vom autokratischen Kaiserreich zur konstitutionellen Monarchie: Zensur
und Emanzipation der französischen Presse im Vormärz (1804–1848). In: Gabriele
B. Clemens
(Hg.): Zensur im Vormärz. Pressefreiheit und Informationskontrolle in Europa. Ostfildern: Jan
Thorbecke Verlag 2013, S. 23–38, hier S. 26.
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
106 3. Die Zensur als Instrument der Repression: Die Ära Napoleons und der Vormärz (1792–1848)
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510