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den. Der Zensor fand es „unschicklich, solche gräßliche Charaktere und Perso-
nen, wie die angebliche Clotilde, und der angebliche Casimir als die ältesten
Geschwister des Kaisers Rudolph sind, als zu den Voreltern und Verwandten des
Habsburgischen Hauses gehörig vorzustellen, und als solche im Publicum cur-
siren zu lassen“. Die Rede ist hier von Mme. Barthélemy-Hadots Roman Clotilde
de Hasbourg ou le tribunal de Neustadt (Paris 1810).
Auch auf fremde legitime Dynastien durfte kein Schatten fallen. So wurde
eine Nummer der Zeitschrift Europäische Annalen verboten „[w]egen der fort-
gesetzten Darstellung der Schlachten auf dem Marsfelde, dann wegen der Aus-
fälle auf die Bourbons in Spanien auf Clerus und Adel überhaupt“ (Europäische
Annalen, Jg.
1810, 10.
Stück). In Romanen wiederum waren Schilderungen der
Liebesabenteuer von Königen unerwünscht (M. de Faverole: Le Parc aux cerfs,
ou histoire secrète des jeunes Demoiselles qui y ont été renfermées, Hambourg
1809).
Die Darstellung militärischer Erfolge der napoleonischen Heere war in die-
sen Jahren häufig Grund für Verbote. Folglich musste da eine Beleidigung des
österreichischen Herrschers wie „il est difficile de voir un prince plus débile et
plus fou“ Anstoß erregen, der Zensor rechnet dem Verfasser einer militärge-
schichtlichen Schrift aber auch vor, dass darin das österreichische Volk herab-
gewürdigt werde, weil es angeblich Napoleon um Gnade angefleht habe, er die
Schlacht bei Eßling als Sieg der Franzosen darstelle und seine Inkompetenz
beweise, indem er der Stadt Wien eine Bevölkerungszahl von nur 30.000 zuschrei-
be (tatsächlich ca. 250.000; René Perin: Vie militaire de J.
Lannes, Duc de Mon-
tebello, Paris 1809).
Auf die befürchtete Untergrabung des Patriotismus wurde gemäß der Zen-
survorschrift vor allem bei populären und Jugendschriften geachtet: „Der Inhalt
dieser Jugendschrift, welche von S. 68–89 eine Darstellung militärischer Hel-
denthaten des französischen Militärs ist, welche darin nicht selten mit den Hel-
den des Alterthums verglichen werden, ist keine anständige Lectüre für Kinder,
welche ihr Vaterland: Oesterreich, ihren Fürsten und ihre Vertheidiger achten
und lieben sollen“, stellte der Zensor über Herzensgüte und Seelengröße. Eine
Beyspielsammlung für Kinder (Hamburg und Altona o. J.) fest. Derselbe Grund
führte zum Verbot einer anderen Jugendschrift (Das Lieblingssöhnchen. Das
nützlichste unterhaltendste und belehrendste Bilder- und Lesebuch für das frü-
heste Knabenalter, Hamburg o.
J.). Als anstößig wurden da sogar abfällige Äuße-
rungen über „die Bußtage und Gebethe unserer Fürsten gegen den französischen
Imperator“ und über „das Geschütz der österreichischen Armee“ erachtet (Gustav
Schilling: Sämtliche Schriften, 11. Band, Dresden 1810).
Überraschen mag, dass selbst Kritik an den Staatsfinanzen Gründe für Ver-
bote lieferte. Im September 1811 wurde das Buch von Georg Christian Otto
Georgius mit dem Titel Handels- und Finanz-Pandora der neuesten Zeiten (Nürn-
3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 111
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510