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Das Gedicht war 1819 in dem Jahrgang 1820 des von Wallishausser verlegten
Almanachs Aglaja erschienen, die Zensur hatte in Person des mit Grillparzer
befreundeten Burgtheaterdirektors und Herausgebers der Aglaja Joseph Schrey-
vogel keinen Anstoß an dem Text genommen. 400 Exemplare des Almanachs
waren bereits verschickt, als katholisch-konservative Kreise Protest gegen das
Gedicht einlegten. Grillparzer selbst schreibt, dass der übereifrige Verleger ein
Exemplar des Almanachs „der Gemahlin des ebenso wegen seiner erleuchteten
Kunstansichten als wegen seiner strengen Religiosität bekannten Kronprinzen
eines benachbarten Hofes zugeeignet“ hatte,87 womit nur der bayerische Hof
gemeint sein kann. Dieser Kronprinz habe darauf hin beim Kaiser angefragt,
warum die Wiener Zensur diesen Almanach habe passieren lassen. Nach einer
anderen Meinung hat der katholisch-romantische Dichter Zacharias Werner
Grillparzer denunziert.88 Der Zensurforscher Julius Marx fand keinerlei Belege
für diese Denunziations-Versionen, er vertritt die Ansicht, dass Polizeipräsident
Sedlnitzky aufgrund eigener Lektüre zum Verbot schritt und veranlasste, dass
die Seiten mit dem inkriminierten Gedicht aus sämtlichen in Wien vorzufin-
denden Exemplaren herausgerissen wurden89 – mit dem Erfolg, dass alle Inter-
essierten, die sich kein gedrucktes Exemplar verschaffen konnten, das Gedicht
aus einigen zirkulierenden unversehrten Exemplaren des Almanachs abschrie-
ben. Sedlnitzky erstattete dem Kaiser Bericht und begründete die Entfernung
des Gedichts aus den gedruckten Exemplaren der Aglaja damit, dass „mehrere
Stellen dieses Gedichtes gegen Heiligthümer der christlichen und besonders der
katholischen Religion grell und offenbar verstossen“.90 Grillparzer wurde von
der Polizei vorgeladen, um sich zu rechtfertigen, wobei er auf die in dem Gedicht
verwendete moderate Ausdrucksweise hinwies und insbesondere Schreyvogel
vor einer Rüge als unaufmerksamer Herausgeber und Zensor bewahren wollte.
Da in dem Gedicht indirekt der Papst wegen seiner ,Okkupation‘ des Forums
mit dem christlichen Kreuz angegriffen wurde, war der Fall (auch) ein politi-
scher und neben der Polizei auch die Staatskanzlei zuständig. Metternich per-
sönlich verfasste, allerdings mithilfe zweier Beamten, das zugehörige Gutachten,
das dem Kaiser den Sachverhalt darlegte bzw. das Verbot zu rechtfertigen trach-
tete. Er bestätigte, dass das Gedicht „gegen die christliche Religion, als die angeb-
liche Ursache des Verfalls des Römischen Reiches geschrieben“ sei und tadelte
87 Grillparzer: Selbstbiographie, S. 194.
88 So Gedichte, erster Teil (Sämtliche Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bd.
10), S.
278.
Desgleichen schon Sauer: Proben eines Commentars, wo der Verfasser dokumentiert, dass
Grillparzers „Campo vaccino“ und andere Gedichte als Kommentar auf Verse über Rom gele-
sen werden können, die Werner zuvor ebenfalls in der Aglaja veröffentlicht hatte.
89 Julius Marx: Metternichs Gutachten zu Grillparzers Gedicht „Campo vaccino“. In: Jahrbuch
der Grillparzer-Gesellschaft N. F. 2 (1942), S. 49–69, hier S. 59.
90 Zitiert in Sauer: Proben eines Commentars, S. 131.
3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 123
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510