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mal wurde eine Beurteilung nachträglich verändert. Milderungen der Verbots-
formel waren selten, kamen aber zum Beispiel bei Lobpreisungen Napoleons
vor, die ab 1832 toleriert wurden. Häufiger waren Verschärfungen, speziell wenn
mehrbändige oder Lieferungswerke nach dem Erscheinen späterer Bände in toto
,damnatur‘ statt ,erga schedam‘ erhielten.120
Insgesamt geht die Zahl der mit ,damnatur‘ abgefertigen Werke seit 1792,
sieht man von einer kurzen Gegenbewegung in den 1810er Jahren ab, kontinu-
ierlich zurück: 1792–1795 macht ,damnatur‘ noch 85,4
% der Verbote aus, 1796–
1800 72,1 %, 1801–1805 59,6 % und 1806–1810 47,7 %. Es folgt eine geringfü-
gige Steigerung (1811–1815: 57,9 %, 1816–1820: 61,0 %), auf die ein weiterer
Rückgang bis 1848 folgt (1821–1825: 51,3 %, 1826–1830: 56,4 %, 1831–1835:
57 %, 1836–1840 42,5 %, 1841–1845: 33,3 %, 1846–1848: 39,4 %). Wie im
Abschnitt zur Statistik noch genauer erläutert wird, verschiebt sich das Verhält-
nis zwischen Bücherproduktion bzw. erlaubten Büchern und Verboten immer
mehr zugunsten der zugelassenen Schriften. Parallel dazu nimmt, wie oben
demonstriert, innerhalb der Verbote die Zahl der mit ,damnatur‘ beurteilten
Werke zugunsten jener, die ,erga schedam‘ erhielten, ab. Die Verschärfungen der
Zensurformeln und der Gangart gegenüber den Verlagen kann als verzweifelter
Versuch, zu retten, was noch zu retten war, interpretiert werden. Wie man weiß,
war er zum Scheitern verurteilt.
Für das Wiener Bücherrevisionsamt fehlen Anhaltspunkte für Angaben über
die Quantität der Schedenanträge. Für das vergleichsweise wohl nicht so stark
frequentierte Grazer Bücherrevisionsamt ergab eine Hochrechnung aufgrund
von Bruchstücken der diesbezüglichen Akten für das Jahr 1839 ca. 2880
Anträ-
ge.121 Fest steht, dass nur Angehörige höchster Gesellschaftskreise Scheden erhiel-
ten, überdies ganz vereinzelt auch als zuverlässig bekannte Bürgerliche. Diese
Praxis der Schedenvergabe kann am Beispiel von Eugène Sues Erfolgsroman Le
juif errant (1844/45) illustriert werden. Dieser abenteuerliche Roman um eine
Verschwörung der Jesuiten, die versuchen, sich mit unlauteren Mitteln das Erbe
einer Familie, das eine gigantische Summe ausmacht, zu verschaffen, war wohl
wegen seiner antiklerikalen Komponenten in Österreich verboten. Auch viele
andere Romane Sues, darunter der Vorgänger des Juif errant, Les mystères de
Paris, waren auf den Verbotslisten zu finden. Neben antiklerikalen und antimo-
narchistischen Passagen und so manchen frivolen Szenen enthielten die Roma-
ne auch eine gewisse politische Sprengkraft, wobei insbesondere auf die Schil-
derungen der Armut in den Mystères de Paris zu verweisen ist. Der Juif errant,
übersetzt als Der ewige Jude, wurde in Fortsetzungen in einigen Zeitungen (unter
anderem in der Deutschen Allgemeinen Zeitung, der Frankfurter Oberpostamts-
120 Vgl. Marx: Die amtlichen Verbotslisten, S. 155–156.
121 Kosch: Das Grazer Bücherrevisionsamt, S. 72.
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
132 3. Die Zensur als Instrument der Repression: Die Ära Napoleons und der Vormärz (1792–1848)
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510