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österreichischen Exilanten verlegerischen Unterschlupf.201 Eine Rolle bei der
Verlängerung des Boykotts des Reclam-Verlags mag gespielt haben, dass just im
Juni 1846 in diesem Verlag eine Übersetzung von Thomas Paines The Age of
Reason (Das Zeitalter der Vernunft) erschien, ein Werk, das radikale Religi-
onskritik übt und ein Bekenntnis zum Deismus ausspricht.202 Dieses Buch wur-
de nicht nur in Österreich verboten, sondern auch in Sachsen, Preußen und
Frankreich. Sogar im liberalen England stellte es ein Skandalon ersten Ranges
dar, das seinem Verleger Daniel Eaton sieben Verurteilungen, 15 Monate Haft
und drei Jahre Verlust der Bürgerrechte (outlawry) eingetragen hatte; im Jahr
1812, anlässlich des Erscheinens des dritten Teils, erhielt er noch einmal 18
Mona-
te Gefängnis und zusätzlich Pranger aufgebrummt.203
Durch den scheinbaren Erfolg seiner Maßnahmen, den er aus den Reaktio-
nen der betroffenen Verlage ableitete, beschloss Metternich per Hofdekret vom
4. Jänner 1847, weitere unbotmäßige Verlage mit Debitentzug zu belegen, und
zwar Hoffmann und Campe
(4.), Ernst Keil und Gustav Mayer
(24.),204 eine Maß-
nahme, die bis 1848 in Kraft blieb.205 Die Firma Hoffmann und Campe hatte sich
als Verleger von Heinrich Heine, Ludwig Börne, Friedrich Hebbel, Hoffmann
von Fallersleben, Karl Gutzkow, Ludwig Wienbarg, Anastasius Grün und ande-
ren politisch engagierten Autoren schon oft unbeliebt in Österreich gemacht.
Das junge Deutschland, liberale Konstitutionalisten und radikale Demokraten
fanden bei ihr eine verlegerische Heimat. Julius Campes Motto lautete: „Mein
Hauptverlag ist junge Literatur“.206 1843 erregten Viktor von Andrian-Werburgs
Österreich und dessen Zukunft und Deutsche Worte eines Österreichers von Franz
Schuselka den Unmut der österreichischen Regierung, die dem Verlag bereits
mit Debitentzug drohte, vor diesem Schritt aber noch zurückschreckte, um
201 Vgl. Wittmann: Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 224.
202 Vgl. dazu die Dokumentation von Volker Titel/Frank Wagner: Angeklagt: Reclam & Consor-
ten. Der Zensur- und Kriminalfall „Das Zeitalter der Vernunft“ 1846–1848. Beucha: Sax-Ver-
lag 1998, und die Kurzfassung in: Dies.: Angeklagt: Reclam & Consorten. Der Zensurfall „Das
Zeitalter der Vernunft“ am Vorabend der Revolution von 1848/49. In: Wolfenbütteler Notizen
zur Buchgeschichte 24 (1999), H. 2, S. 151–163.
203 E. P. Thompson: The Making of the English Working Class. Harmondsworth: Penguin 1982,
S. 105–106.
204 Vgl. Christian Liedtke: Julius Campe und das „Österreichische System“. Unbekannte Buch-
händlerbriefe zum Verlagsverbot von 1847. In: Ders. (Hg.): Literatur und Verlagswesen im
Vormärz. Bielefeld: Aisthesis 2011, S. 121–138, hier S. 122–125.
205 Siehe Marx: Die amtlichen Verbotslisten. Neue Beiträge, S. 439. In Preußen waren bereits am
8.
Dezember 1841 vorübergehend sämtliche Publikationen des Campe-Verlags verboten wor-
den; vgl. Liedtke: Julius Campe und das „Österreichische System“, S. 122, unter Hinweis auf:
Kurze Geschichte der Verlagsverbote. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel
18 (1851),
Nr. 16, S. 199–201.
206 Zitiert bei Wittmann: Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 221.
3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 183
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510