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1783 anhand der eingesendeten Listen belegen. Während die josephinische Kul-
turpolitik also von regionalen Aufklärern zumindest in der ersten Hälfte der
1780er Jahre ziemlich radikal umgesetzt wurde, gelang dies bei der administra-
tiven Reform der Zensur viel weniger. Im Dezember 1792 – einige Monate nach
dem Tod Leopolds
II. – urgierten die Wiener Stellen beim böhmischen Landes-
gubernium die „von des höchstseligen Kaisers und Königs Joseph Majtt ange-
ordnete neue Zensurseinrichtung“ vom 11. Juni 1781 und „die Erfüllung der
diesfälligen Instruktionen“. Im Konzept seiner Antwort legte der Prager Zensur-
referent Gubernialrat Franz Anton von Riegger nichts weniger als das Scheitern
des Versuchs Josephs II. dar, die Zensur von Wien aus zentral zu steuern: „so
lange auch das neue Bücherrevisionsamt besteht, sind keine wenige Bücher, oder
Handschriften an die Hofzensur eingesandt worden“. Sowohl die importierten
Bücher als auch die eingereichten Handschriften waren dem Bericht zufolge in
Prag von Universitäts- und Gymnasialprofessoren unter Rieggers Aufsicht zen-
suriert worden, und zwar aufgrund der ökonomischen Notwendigkeiten des
Buchhandels. Hätte man immer erst auf die Wiener Zensurverzeichnisse warten
müssen, so „könnten die hiesigen Buchhändler in Leipzig gar kein Geschäft
machen“, weil sie nicht wüssten, „welche Bücher zur Einfuhr erlaubet, oder ver-
bothen worden seien“. Gleichzeitig betonte Riegger aber, dass in der Praxis „gar
selten ein Mißverstand zwischen der hiesigen und der Hofzensur sich ergeben
habe.“28
Auch die Zensur der Periodika stand nicht im Einklang mit den offiziellen
josephinischen Zensurregelungen. Riegger unterzog die Prager Zeitschriften
nicht einer Vor-, sondern einer Nachzensur, wie dies für den Sommer und Herbst
1790 etwa für die Prager Staats- und gelehrten Nachrichten belegt ist. Diese sah
Riegger zumindest einige Tage bis maximal zwei Monate nach ihrem Erscheinen
durch. Das entsprechende Datum vermerkte er mit einem roten Stift, mit dem
er sich auch interessante Stellen in der Zeitschrift anstrich. Selbst in dieser poli-
tisch bewegten Zeit finden sich jedoch weder in den Zensurexemplaren noch in
den Akten Anzeichen dafür, dass er jemals im Nachhinein etwas moniert hät-
te.29 Die von den Ereignissen in Frankreich und den österreichischen Nieder-
landen beunruhigten Wiener Stellen mussten alarmiert sein von soviel Libera-
lität – dass alles erlaubt war, was nicht von Gesetzes wegen verboten war
nialakten taucht die Verordnung auf als die „zu Folge dd° 3.
praes. 9.
Xbris Ao. 1781 eingelang-
te Königl. Circular-Verordnung auf den gehaltenen Jahrmärkten die mit Bücher handelnden
zu visitieren und die vorgefundenen Bücher, Gedichte und Lieder aufzuzeichnen“ (NA, ČG-P,
1774–1783, Karton 728, Signatur G5).
28 Böhmisches Landesgubernium an die Böhmisch-österreichische Hofkanzlei, Prag, 6.12.1792
(NA, ČG-P, 1786–1795, Sign. 115/1, Karton 2344, 2334 ex 1792).
29 NA, ČG-P, 1786–1795, Karton 2364, Signatur 115/260, vgl. die entsprechende Reproduktion
in Wögerbauer/Píša/Šámal/Janáček: V obecném zájmu, S. 139.
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202 4. Ein Blick in die Länder
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510