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Stark steigt dagegen der Anteil der Verbote von Romanen (20 % → 37 %) und
Zeitungen (17 % → 41 %) an. Es zeigt sich also, dass das Verbot verschiedener
Romangenres vom 16. Jänner 1800 und das Verbot der Leihbibliotheken von
1798 nur die legislative Fortsetzung einer Tendenz zensorischer Praxis war. Ähn-
liches gilt für die Periodika, bei denen die Distributionsorte und mit ihnen ver-
bundene Praktiken das Ziel der Maßnahmen waren: Mit der Abschaffung von
Lesekabinetten32 und dem Verbot, den Gästen von Gaststätten und Cafés Peri-
odika zur Verfügung zu stellen,33 wurden auch hier der billige und öffentliche
Zugang sowie die Möglichkeit, Nachrichten – etwa nach lautem, öffentlichen
Vorlesen – gleich zu diskutieren, eingeschränkt.
Schon in den 1790er Jahren, noch mehr aber bis 1816, nimmt außerdem die
Anzahl der zunächst oder überhaupt nur in Prag gefällten Entscheidungen stark
ab zugunsten einer wachsenden Anzahl von Wiener Dezisen. Vergleicht man
diesen Befund mit den Katalogen von Prager Buchhändlern, so zeigt sich, dass
die Zensur nicht alle am Buchmarkt angebotenen Textsorten in gleichem Maße
erfasste. Ganz besonders betroffen waren Informationen über Bücher selbst, eine
Tatsache, die privilegierte Leser viel weniger tangierte als einfache Leser ,aus
dem Volk‘ mit einem schwierigeren Zugang zu Lesestoffen. So scheinen 1790
im Fall der Prager Calveschen Buchhandlung 19 % der offerierten Bücher34
nicht in den gleichzeitigen Prager Zensurlisten auf; im Fall der Buchhandlung
August Gottlieb Meißners sind es sogar 46 %, wobei es sich beileibe nicht nur
um ,ungefährliche‘ wissenschaftliche, pädagogische etc. Literatur handelte, son-
dern auch um Romane.35 Vor dem Hintergrund eines allgemeinen Wandels in
der Bewerbung von Büchern – von umfassenden Verlagskatalogen hin zur Inse-
rierung einer Sortimentsauswahl in Zeitungen und Zeitschriften – werden von
Zensureingriffen verstärkt bedrohte Genres tendenziell immer weniger inseriert.
Das hat jedoch vermutlich wenig daran geändert, dass besser informierte und
gezielt suchende Leser derlei Bücher durchaus kaufen konnten.
Ein erster Schritt zur Professionalisierung der Zensur war die 1792 erfolgte
32 Im entsprechenden Verbotsdekret werden sie als Institutionen charakterisiert, „die bloß den
Lesern zum Nachtheil dienen“ (NA, ČG-P, 1796–1805, Karton 2364, Signatur 102/1,
Nr. 26225/2549 ex 1798).
33 Vgl. die Erwähnung dieses Dekrets durch Polizeipräsident Graf Pergen in seinem Brief an das
Böhmische Landesgubernium vom 29.10.1801 (NA, PG, 1791–1806, Karton 255, Signatur
16,
Nr. 2055 ex 1801).
34 Vgl. Johann Gottfried Calve: Erstes Verzeichnis einiger Bücher, die der Buchhändler Johann
Gottfried Calve in Prag von der letzten Leipziger Ostermesse 1790, nebst mehreren andern
mitgebracht hat [...]. Prag 1790.
35 Johann Ferdinand Nepomuk Schönfeld/August Gottlieb Meißner: Verzeichniss Neuer Bücher,
welche in der Leipziger Michaelismesse 1790 herausgekommen und in der von Schönfeld-Meiss-
nerschen Buchhandlung in Prag um beigesetzte Preise zu haben sind. Nro. 2. Prag 1790.
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204 4. Ein Blick in die Länder
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510