Seite - 212 - in Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
Bild der Seite - 212 -
Text der Seite - 212 -
ben sind.50 Aus einigen Jahren sind auch ähnliche Zensurprotokolle des Prager
hebräischen Zensors Karl Fischer erhalten;51 die Archivalien des Prager Erzbis-
tums enthalten die vollständigen Gutachten der Konsistorialzensur aus den Jah-
ren 1820–1848.52 Eine quantitative Analyse der Protokolle Zeidlers53 zeigt, dass
die vom theologischen Zensor vorgeschlagenen Verbote 17
% der von ihm zen-
surierten deutschsprachigen und 15,4
% der in Tschechisch geschriebenen Wer-
ke erfassten; die Zahl der ohne Weiteres zugelassenen Werke belief sich auf 59,5
%
der deutschen bzw. 65,2 % der tschechischen Werke; den Rest bildeten die mit
Modifikationen (also ‚correctis corrigendis‘ bzw. ‚omissis deletis‘) zugelassenen
Schriften.54 Aus quantitativer Sicht ist auffallend, welche Unterschiede es zwi-
schen den Genres gibt. Während die Prozentzahl der Verbote bei für breitere
Schichten bestimmten Schriften wie geistlichen Liedern, Gebetbüchern, Lebens-
schilderungen von Heiligen usw. bei 19,9 % (deutsche) bzw. 20,1 % (tschechi-
sche Werke) lag, machten die Verbote bei der theologischen Produktion, die
erfahrene Leser voraussetzte – Sammlungen von Predigten, katechetische oder
polemische Werke, anspruchsvolle Erbauungsliteratur –, lediglich 8,9 % bzw.
13
% der Werke aus. Häufige Einträge bezogen sich auch auf die Zensur der Arti-
kel für den Časopis pro katolické duchovenstvo (Zeitschrift für die katholischen
Geistlichen), der vom Prager erzbischöflichen Konsistorium herausgegeben wur-
de. Die Zahl der Verbote lag zwar niedriger als bei den anderen Gruppen von
Schriften (8,7 %), doch ist die Zahl verhältnismäßig hoch, wenn man bedenkt,
dass es sich hier um eine halboffiziöse Zeitschrift handelt. Im Allgemeinen kann
man sagen, dass die Zahl der Verbote oder nur mit Modifikationen erlaubten
Werke sank, das könnte als ein allmählicher Rückgang der älteren Werke und
eine allgemeine Anpassung der Autoren an die Zensurnormen gedeutet werden.
Eine nähere Betrachtung der Gutachten zeigt aber, dass der theologische Zen-
sor – im Einklang mit der Tendenz der Zensurvorschrift vom September 1810
– sich nicht selten über den „Wert“ bzw. die „Brauchbarkeit“ des zu beurteilen-
den Werkes äußerte. Oft kommen pauschale abwertende Bezeichnungen wie
„werthlos“ oder „gehaltlos“ vor, die nicht selten mit einem theologisch negativen
50 NA, Řád premonstrátů Strahov, pozůstalosti, Karton 148–150.
51 Oddělení rukopisů a starých tisků Národní knihovny, Signatur IX.A.17.a-b, Jahre 1788–1805,
1806–1824; Archiv Národní knihovny, Cenzor a
revizor židovských knih, tisků a
rukopisů (Jah-
re 1834–1843).
52 NA, Archiv pražského arcibiskupství – II, Karton 2904–2924.
53 Als Beispiele wurden die Einträge aus den Jahren 1823, 1828, 1834, 1841, 1844 und 1846 gewählt.
Vgl. dazu genauer Hedvika Kuchařová: Náboženská literatura předbřeznového období pod
drobnohledem. Cenzurní protokoly Hieronyma Josepha Zeidlera. In: Wögerbauer/Píša/Šámal/
Janáček et al.: V obecném zájmu, S. 289–303, besonders S. 298–303.
54 Die einzelnen lateinischen oder französischen Schriften wurden in der quantitativen Analyse
nicht berücksichtigt.
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
212 4. Ein Blick in die Länder
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510