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Rolle. Als Zugeständnis an die traditionellen Rivalitäten in Norditalien wurde
die neue Provinz der Habsburger zunächst als Königreich Lombardo-Venetien
eingerichtet. Mailand war zwar letztlich mit dem Sitz des Vizekönigs für das
gesamte Gebiet die politisch und administrativ bedeutendere Stadt, jedoch kam
Venedig aus naheliegenden Gründen ebenfalls ein hoher Rang zu.61 Für die
Bücherzensur hieß das vor allem, dass es in Lombardo-Venetien zwei Zensur-
behörden geben sollte, in Mailand und auch in Venedig, die wenigstens in der
Anfangsphase fast unabhängig voneinander arbeiteten. Dass dies längerfristig
immer wieder zu Problemen führen sollte und im markanten Gegensatz zu den
ständigen Zentralisierungsbemühungen der Bücherzensur in Wien stand, ist
einer der beachtenswerten Aspekte dieser Situation.
Gleichzeitig ist die politische Vorgeschichte aber auch insofern von Bedeu-
tung, als die möglichst rasch geplante Errichtung einer funktionierenden Admi-
nistration es erforderlich machte, viele der Behörden und Strukturen des napo-
leonischen Regno d’Italia unmittelbar und trotz lauter Gegenstimmen zu
übernehmen. Ausführliche Darstellungen dieser Vorgänge und der zeitgenössi-
schen Diskussionen darüber finden sich in der Fachliteratur. Für die Zensur
bedeutete das unter anderem, dass einerseits Personen, die vormals für die Zen-
surbehörden Napoleons gearbeitet hatten (die Direzione Generale della Stampa
e Libreria), einen Platz im neuen System fanden, andererseits gewisse praktische
Aspekte beibehalten wurden. Da sich die formale Neuorganisation der Zensur
zudem bis in die zweite Hälfte des Jahres 1816 ziehen sollte,62 sind diese Anknüp-
fungspunkte an die vorherige Administration, also auch an gewohnte Arbeits-
weisen einer etablierten Zensurpraxis, von großer Wichtigkeit für den Charak-
ter der lombardo-venetischen Bücherrevision, zumal unter Napoleon ein
besonderes Augenmerk auf die Kontrolle der Tagespresse gelegt worden war.
Dass es in der Lombardei bereits vor den napoleonischen Kriegen, also bis 1796,
eine habsburgische Zensur gegeben hatte, war hingegen von geringer Bedeutung,
wohl auch wegen der Wiener Zensurreform im September 1801. Allerdings wur-
den vormals lombardische Beamte, die nach dem Verlust der Gebiete in das
Veneto migriert waren, auch für die Neuorganisation der dortigen Zensur (ab
1797 und insbesondere nach 1801) eingesetzt, und diese Ordnung, die immer-
hin bis 1805 in Kraft war, wirkte sich durchaus auch auf die Administration nach
1815 aus. Obwohl in Mailand vieles nach außen hin gleich geblieben zu sein
schien (die Zensurbehörde war etwa wie zuvor im Palazzo Brera angesiedelt),63
61 Vgl. Marco Meriggi: Il Regno Lombardo-Veneto. Torino: UTET 1987, S. 18.
62 Die Hofkommission zur Verwaltungsorganisation Lombardo-Venetiens war sogar bis 1818
tätig; vgl. Meriggi: Il Regno, S. 18.
63 Die Zensurbehörde in Venedig hatte ihren Sitz in den Gebäuden des ehemaligen Klosters San
Zaccaria; vgl. Giampietro Berti: Censura e circolazione delle idee nel Veneto della Restaurazi-
4.2. Daniel Syrovy:Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 217
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510