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der Praxis wird die Lage vor allem dadurch verkompliziert, dass besonders in
den Provinzstädten häufig Kirchenmänner als Zensoren eingesetzt wurden (jeder
Ort mit einer Druckerei brauchte einen Zensor).65 Der PCL sah jedenfalls vor,
dass in Mailand drei theologische sowie zwei säkulare Zensoren sowohl für die
Manuskriptzensur als auch für die Kontrolle importierter Bücher zuständig wären,
in den Provinzhauptstädten jeweils ein theologischer bzw. politischer Zensor.
Aufgrund der lückenhaften Archivlage muss auch der Ablauf der Zensurtätigkeit
weitgehend aus dem PCL rekonstruiert werden, allerdings scheint dieser im All-
gemeinen der Wiener Praxis zu entsprechen. So war vorgesehen, dass die ‚Giun-
ta Governativa‘, also eine Regierungskommission, in regelmäßigen (bzw. nach
Bedarf auch außerordentlichen) Sitzungen über Zensurangelegenheiten zu ent-
scheiden hatte, nachdem die einzelnen Zensoren ihre Meinung zu den infrage
stehenden Büchern geäußert hatten.66
Umfangreichere Dokumente für die Zensurpraxis existieren erst aus der Zeit
nach der großen Verwaltungsreform in der Lombardei 1786 (als auch das Her-
zogtum Mantua in das Gebiet eingegliedert wurde).67 Aus diesen Dokumenten
wird unter anderem ersichtlich, dass einzelne Punkte des PCL, etwa die gefor-
derte Erstellung eines zentralen Verzeichnisses verbotener Schriften zur Erleich-
terung der Zensur und Bücherrevision, scheinbar gar nicht oder nur unzurei-
chend umgesetzt wurden. Dieses Verzeichnis, das seit 1769 existieren hätte
sollen, nachdem seine Erstellung im PCL veranschlagt wurde,68 wird noch 1792
von Zensoren aus Pavia angeregt.69
65 Diese Regelung ist im PCL nicht enthalten, aber mehrere Dokumente belegen die Praxis (Archi-
vio di Stato, Milano, Atti di Governo, Studi p. a. 37; Mai 1771 an den Arciprete G. Porta; Sep-
tember 1790, Schreiben des Druckers Guglielmo Bossi aus Gallarate – in der Folge abgekürzt:
ASM, AdG). Für den Zeitraum vor 1815 sind in Summe mehr als 60
Namen von Zensoren der
Lombardei und des Veneto bekannt. Nach 1815 dürfte sich die gesetzliche Handhabung geän-
dert haben. In einem Schreiben Sedlnitzkys an Graf Saurau vom 20.10.1816 heißt es dazu, dass
„an keinem Orte eine Buchdruckerey oder Buchhandlung seyn darf, wenn daselbst nicht das
Kreisamt /: die Delegazion :/ als ordentliche Aufsichtsbehörde den Sitz hat“ (ASM, AdG, Studi
p. m. 84, Fasz. ‚Breno‘).
66 PCL 1768, Bl.
2v, bzw. Art.
3 (zitiert nach dem gedruckten Exemplar in ASM, AdG, Studi p.
a.
36).
67 Vgl. dazu Carlo Capra: La Lombardia austriaca nell’età delle riforme (1706–1796). Torino:
UTET 1987; und Antal Szántay: Regionalpolitik im alten Europa. Die Verwaltungsreformen
Josephs
II. in Ungarn, in der Lombardei und in den österreichischen Niederlanden 1785–1790.
Budapest: Akadémiai Kiadó 2005.
68 „[...] sarà necessaria la formazione di un’ Indice de’ Libri proibiti da pubblicarsi dalla stessa
Giunta, onde col semplice confronto possa la persona a ciò destinata separare i proibiti da’ per-
messi“ (PCL 1768, Bl. 5v, Art. 39).
69 Dort heißt es in einem undatierten Schriftstück, das einem Schreiben vom 4.2.1792 beigelegt
ist, es wäre „molto opportuno [...] per impedire l’introduzione di libri sospetti, che si formas-
se un indice generale dei libri superiormente proibiti per direzione dei Regi Censori in tutte le
4.2. Daniel Syrovy:Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 219
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510