Seite - 228 - in Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
Bild der Seite - 228 -
Text der Seite - 228 -
Ein erster wesentlicher Schritt dazu ist das Verständnis dafür, wer ‚die Zen-
sur‘ tatsächlich war. Weit davon entfernt, eine dunkle undurchschaubare Macht
zu sein, gab es (abgesehen von den Provinzzensoren, deren Kompetenzen ein-
geschränkt waren) in Mailand und Venedig jeweils vier ordentliche Zensoren,
von denen einer als Capocensore für die Abläufe der Zensurämter verantwort-
lich war (so auch im PGC, §§ 1–2). Wie bereits erwähnt, waren Zeitschriften
(„gazzette estere e nazionali“), Theaterzensur und die Zensur der Flugblätter in
den Hauptstädten Sache der Polizei (PGC, § 5c).
Die Idee, dass Gelehrte nebenbei und quasi ‚ehrenamtlich‘ die Buchproduk-
tion überwachten, was im 18.
Jahrhundert noch einigermaßen funktioniert hat-
te, war allem Anschein nach in der Zeit nach dem Wiener Kongress weder in
polizeilicher Hinsicht ökonomisch, noch vom Arbeitsaufwand her leicht zu
bewältigen, aber die tatsächlichen Personalkosten gingen offenbar vor. Man weiß
um die allgemeinen Sparmaßnahmen der Regierung, die nach den immensen
Kosten der napoleonischen Kriege durchaus auch nachvollziehbar waren, aber
bis zu welchem Punkt dies ging, wird doch überraschen.
Die vielen Belege für Beschwerden seitens der Zensoren, die in Mailand lie-
gen, zeichnen ein deutliches Bild: Dutzende Faszikel mit Gehaltsverhandlungen,
Ansuchen um Vorschüsse bis hin zur Rechnungsstellung eines Provinzzensors
(Giorgio Ravelli aus Brescia), der im März 1825 um die Kompensation für seine
dienstlichen Kosten (Miete eines Dienstzimmers, Heizmaterial, Federn und Tin-
te, Zwirn) bittet, was Ende 1827 nach einigem Hin und Her auch genehmigt wird.
Die von der Behörde selbst veranschlagte Gesamtsumme wird dann allerdings
wegen einiger Bedenken noch einmal um gute 15 % verringert.92 Dass auch die
Lokalitäten der Zensur im Palazzo di Brera ein ständiges Problem waren, bele-
gen Beschwerden über die Feuchtigkeit, über die entsetzliche Kälte (man musste
ununterbrochen heizen) und nicht zuletzt über einen eklatanten Platzmangel.93
Dass speziell die Besoldungssituation der Zensoren ein großes Problem war,
lag nicht zuletzt daran, dass für die Posten immer bereits anderweitig beschäf-
tigte Personen ausgewählt wurden, bei denen man davon ausging, dass sie schon
von ihrer ersten Anstellung her ein Auskommen finden müssten. So wird selbst
die ohnehin niedrige Besoldung immer wieder auf 60
% der vorgesehenen Sum-
me gekürzt, wenn es irgendeinen Anlass dafür gibt, und sei es nur das Argument,
dass andere Zensoren auch nicht mehr verdienten.
Verständnis für die als schwierig empfundene Lage gab es in Wien jedenfalls
nicht, wie aus einem Schreiben Sedlnitzkys an den Gouverneur Strassoldo vom
Anfang des Jahres 1818 hervorgeht:
92 Der Fall in ASM, AdG, Studi p. m. 84, ‚Brescia‘.
93 Vgl. ASM, AdG, Studi p. m. 87, Schreiben Zanattas an das Governo vom 22.5.1817. Um 1820
verlegte man die Behörde in die Gebäude der Intendenza provinciale di finanza bei S.
Giovan-
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
228 4. Ein Blick in die Länder
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510