Seite - 250 - in Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
Bild der Seite - 250 -
Text der Seite - 250 -
Niederlage gegen Napoleon wurde Schiller weniger streng behandelt, möglicher-
weise wurde er nun als geeignet empfunden, den österreichischen Patriotismus
zu fördern. Don Karlos, der zunächst während der französischen Besetzung
Wiens im Jahr 1809 aufgeführt worden war, konnte nach wie vor nur in einer
radikal beschnittenen Fassung auf die Bühne gebracht werden.
Wilhelm Tell, bekanntlich die Geschichte eines Aufstands gegen die Herrschaft
des Hauses Habsburg, innerhalb dessen ein Angehöriger dieser Dynastie getötet
wird, wurde 1810 im Theater an der Wien in einer bearbeiteten Fassung zuge-
lassen. An der Tyrannei ist in dieser Version ausschließlich der Statthalter Geß-
ler schuld, der hinter seinen Taten stehende Kaiser wird kaum erwähnt, der letz-
te Akt fiel gänzlich weg. In der österreichischen Fassung erscheint Geßlers
Herrschaft als legitim, Tell ist schlicht und einfach ein Aufrührer. Dennoch blieb
das Stück suspekt wegen der möglichen „peinlichen Rückerinnerungen“ an die
„neuesten Ereignisse in Tirol und die Verbindung, in welche einige Bewegungen
in der angrenzenden Schweiz mit selbem in Verbindung gesetzt werden woll-
ten“.30 Als das Stück im Jahr 1827 im Burgtheater wieder aufgenommen werden
sollte, zögerte die Zensur noch immer, einen Aufstand gegen die österreichische
Herrschaft auf der Bühne zuzulassen, aber der Kaiser hatte bereits einer gründ-
lich bearbeiteten Fassung zugestimmt.31 Auch Maria Stuart, vor allem wegen
des Motivs der Exekution der Königin, und die Wallenstein-Trilogie konnten
bis 1848 nur in bearbeiteter Form aufgeführt werden. Die drei Teile wurden
radikal gekürzt, der verbliebene Text war gründlich ‚gereinigt‘. Eine Prager Insze-
nierung wurde 1802 in Wien nicht zugelassen. In einer Bearbeitung von 1814
wurden Phrasen wie „Kein Kaiser hat dem Herzen vorzuschreiben!“ umgeän-
dert zu „Das Herz kennt kein geschriebenes Gesetz.“32 1827 überlistete der
Hoftheatersekretär Schreyvogel die Zensoren, indem er seine etwas ‚kühne‘ Fas-
sung vom Kaiser genehmigen ließ, bevor er sie der Zensur vorlegte. Schließlich
wurden Die Räuber aus der Stadt ferngehalten und nur in der Vorstadt, im The-
ater an der Wien, zugelassen.
Merkwürdigerweise war Schiller der Zensur gar nicht so abgeneigt, wie man
vermuten könnte. 1799 beauftragte er Kotzebue, den Wallenstein für eine Auf-
len-Gesellschaft 1959, S. 69–78, und Glossy: Zur Geschichte der Theater Wiens I (1801 bis
1820), S. 5; darüber hinaus Carl Glossy: Schiller und die Wiener Theaterzensur. In: Österrei-
chische Rundschau, Bd. II (Febr.–April 1905), S. 645–652.
30 Zitiert in Glossy: Zur Geschichte der Theater Wiens I (1801 bis 1820), S. 116.
31 Noch 1904 wurden alle Hinweise auf den Kaiser und Erwähnungen Österreichs aus einer Wil-
helm Tell-Inszenierung im Burgtheater gestrichen; vgl. Hans Wagner: Die Zensur am Burgthe-
ater zur Zeit Direktor Schlenthers 1898–1910. In: Mitteilungen des Österreichischen Staatsar-
chivs 14 (1961), S. 394–420, hier S. 415.
32 Vgl. Theo Modes: Die Urfassung und einteiligen Bühnenbearbeitungen von Schillers Wallen-
stein. Leipzig, Reichenberg, Wien: Stiepel 1931, S. 53.
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
250 5. Die Theaterzensur
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510