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Hugos Angelo, Podesta von Padua (Angelo, tyran de Padoue) wurde die Zulas-
sung verweigert, weil man das Stück als eine einzige Aneinanderreihung von
Scheußlichkeiten erachtete; als problematisch erschien außerdem die Figur des
Konfidenten der regierenden Signoria, der seine Vertrauensstellung missbraucht.
Die Zensur eines österreichischen Stücks kann in allen Einzelheiten am Bei-
spiel von Grillparzers König Ottokars Glück und Ende demonstriert werden.
Grillparzers Stück spielt bekanntlich im 13. Jahrhundert. Erfolge auf dem
Schlachtfeld verleiten Ottokar dazu, nach Höherem zu streben. Er lässt sich von
seiner Frau Margaretha von Österreich scheiden, heiratet die Enkelin des unga-
rischen Königs und erhebt Anspruch auf die Krone des Heiligen Römischen
Reichs. Aber die Kurfürsten wählen Rudolf von Habsburg, die Inkarnation des
rechtmäßigen und gerecht regierenden Fürsten. Ottokar erklärt Österreich den
Krieg, unterliegt aber. Seine Frau verrät ihn, schließlich wird er von einem Ange-
hörigen der Familie Merenberg, der er Unrecht angetan hatte, getötet.
1823 legte Joseph Schreyvogel das Manuskript des Stücks im Hinblick auf eine
Aufführung am Burgtheater der Zensur vor. Sedlnitzky, der Präsident der Poli-
zeihofstelle, fand das Stück aus zwei Gründen inakzeptabel: Erstens erschien Otto-
kars Fall als Folge seines Ehrgeizes und einer Rechtsverletzung im Zusammenhang
mit der Scheidung von Margaretha; überdies konnte die Handlung als Anspielung
auf Napoleons Scheidung von seiner ersten Frau und die Wiederverheiratung mit
Marie-Louise von Österreich verstanden werden. Tatsächlich wiesen Rezensenten
auf diese Parallele hin. Zum Beispiel schrieb Josef Sigismund Ebersberg 1825 in
Der Sammler, dass Ottokars Glück und Ende derart beschrieben würden, dass sich
dem Publikum „die große Aehnlichkeit mit einem Eroberer und Usurpator neue-
rer Zeit“ aufdränge. Er fügte hinzu, dass diese Erinnerung zu frisch sei, „um bei
einer solchen Aufregung nicht unwillkürlich Anklang zu finden“.37 Zweitens erschien
die ausführliche Darstellung des Konflikts zwischen Nationalitäten der Monarchie,
nämlich Böhmen und Österreichern (bzw. Deutschen), als ungeeignet für eine
Wiener Bühne. Die Staatskanzlei, die in die Zensur politischer Stücke eingebun-
den wurde, befand, dass das Drama einen schlechten Eindruck auf österreichischen
Bühnen hinterlassen würde. Obwohl sich mit Graf Johann Rudolf Czernin und
dem Burgtheaterdirektor Graf Moriz Dietrichstein prominente Fürsprecher fanden
und der Autor selbst ein Gesuch um Genehmigung einreichte, verblieb das Stück
vorerst in einer Schublade der Polizei; nur der Druck des Textes wurde erlaubt.
Der Kaiser war allem Anschein nach persönlich interessiert an dem Stück.
Jedenfalls verlangte er von seinem Leibarzt und Staatsrat Friedrich Freiherr von
Stifft einen Bericht darüber. Abweichend von den Zensoren kam Stifft zu dem
Schluss, dass das Stück eher Heilmittel als Gift darstelle. Er rückte die Figur
37 Zitiert in Jakob Zeidler: Ein Censurexemplar von Grillparzer’s „König Ottokars Glück und
Ende“. In: Ein Wiener Stammbuch. Wien: Konegen 1898, S. 287–311, hier S. 310.
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252 5. Die Theaterzensur
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510