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Talisman sucht der Held nach Arbeit und wird von einem hübschen Mädchen
aufgefordert, bei ihrem Bruder in Dienst zu gehen. Seine Antwort „Eine innere
Stimme über mir rät mir, mich nicht der Knechtschaft zu beugen“ wurde gestri-
chen, weil sie auf der Bühne – vom Kontext losgelöst – als revolutionäre Bot-
schaft wirken konnte. Die Replik „Ein Knecht ist ja nichts schlechts, mit der Zeit
können’s Oberknecht werden, oder sogar Hausknecht, oh so ein Knecht ist ein
gemachter Herr“ wurde ebenfalls gestrichen, weil Aufsteiger aus bescheidenen
Verhältnissen sich dadurch beleidigt fühlen konnten. Angehörige der Ober-
schichten, und vor allem der Aristokratie, durften keine ihrer Ehre abträglichen
Namen tragen; so wurde schon der Name „Herr von Platt“ als zu abfällig emp-
funden und zu „Herr von Plitt“ verändert.42
Auch im Bereich der Oper hatte die Zensur bereits Tradition. Sogar in Zeiten
relativ liberaler Handhabung der Zensur wie unter dem Regime Josephs
II. konn-
ten Werke wie Beaumarchais’ Les noces de Figaro wegen ihres antiaristokrati-
schen und ‚revolutionären‘ Inhalts nicht aufgeführt werden. In der Übersetzung
von Johann Rautenstrauch von 1785 durfte der Text zwar gedruckt, aber nicht
aufgeführt werden. Günstiger waren die Aussichten auf Zulassung im Fall einer
Oper in italienischer Sprache. Lorenzo da Ponte fand in seiner Bearbeitung den
richtigen Mittelweg zwischen der Tilgung aller Elemente, die den guten
Geschmack und Anstand bei einer Aufführung, der unter Umständen auch der
Kaiser beiwohnte, hätten gefährden können, und der Wahrung der nötigen Effek-
te, die dem Stück seine Attraktivität verliehen.43 Da Ponte ließ insbesondere
Figaros ideologisch aufgeladenen Monolog in Szene
V,
3 weg und konzentrierte
sich auf die ‚private‘ Ebene, die zum Beispiel in der Arie „Aprite un po’ quegl’oc-
chi“ in den Mittelpunkt rückt.44
Eine weitere Oper, die bei der Zensur Anstoß erregte, war Beethovens Fide-
lio. Trotz des entfernten Schauplatzes und Handlungszeitraumes („Spanisches
Staatsgefängnis, einige Meilen von Sevilla entfernt. Zeit: 18.
Jahrhundert“) muss-
ten die „krassesten Stellen“ beseitigt werden, sodass sich die Premiere 1805 zwei-
einhalb Monate verschob.45 Webers Freischütz, der in Österreich zum ersten
Mal 1821 im Kärntnertortheater zur Aufführung kam, wurde von den Zensoren
kräftig in Mitleidenschaft gezogen. Kaiser Franz war gegen Schüsse auf der Büh-
ne. Die Szene in der Wolfsschlucht wurde daher in eine hohle Eiche verlegt, Max
(1980), S. 234–248, hier S. 244.
42 Siehe Herles: Nestroy und die Zensur.
43 Vgl. R.
B. Moberly: Three Mozart Operas. Figaro, Don Giovanni, The Magic Flute. New York:
Dodd, Mead & Company 1967, S. 41.
44 Vgl. Ulrich Weisstein: Böse Menschen singen keine Arien. Prolegomena zu einer ungeschrie-
benen Geschichte der Opernzensur. In: Peter Brockmeier/Gerhard
R. Kaiser (Hg.): Zensur und
Selbstzensur in der Literatur. Würzburg: Königshausen & Neumann 1996, S.
49–73, hier S.
69.
45 Ebd., S. 71.
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
256 5. Die Theaterzensur
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510