Seite - 264 - in Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
Bild der Seite - 264 -
Text der Seite - 264 -
daß die Ungeweihten, je weniger sie in ihren Hütten für sich brauchten, desto mehr
für die Geweihten geben und arbeiten konnten.14
Ein Priester macht die Erfindung eines Augenschirmes, der verhindert, dass
einem ehrliche Menschen in die Augen sehen können; der Augenschirm wird
als für alle Gläubigen verbindlich erklärt und in heiligen Fabriken massenweise
hergestellt. Das ging durch Jahrhunderte so, ehe ein Zufall zu einer Revolution
führte. Ein ungewöhnlich großer Hierofantit bat die Obrigkeit, seine Hütte etwas
erhöhen zu dürfen, was ihm prompt verboten wurde:
Im Zorn über die erhaltene abschlägliche Antwort, fieng er an über Dinge, die er
sonst ohne Untersuchung geglaubt hatte, nachzudenken, erschrak anfänglich selbst
über die Resultate seines Nachdenkens, wurde aber von Tage zu Tage damit vertrau-
ter, theilte sie seinem Freunde, bald mehreren andern mit, und in kurzer Zeit baten
Tausende um die Erlaubniß, sich bessere Häuser erbauen, und den Augenschirm,
wenn es ihre Augen vertrugen, ablegen zu dürfen. Auch bat man beyläufig um die
Abschaffung einiger Mißbräuche, wodurch das Volk zu Boden gedrückt würde.15
Die Antwort der Mächtigen ist Gewalt, die „Anführer der sogenannten Aufklä-
rerbande“ werden des Landes verwiesen; der Mann, der gegen die Aufklärer
gekämpft hatte, „halb Priester und halb Hofmann“, wird mit Auszeichnungen
belohnt. Alle Maßnahmen helfen wenig: Die Hierofantiten verbrennen aus Pro-
test ihre Augenschirme. Die Analogie der Fiktion mit der Verfolgung der Jako-
biner in den Jahren 1794/95 mag vom Autor nicht unbedingt beabsichtigt gewe-
sen sein; für österreichische Leser lag sie auf jeden Fall sehr nahe, und für die
Zensur lag sie anscheinend auf der Hand.
Schließlich war für die österreichische Zensur auch ein Aufsatz des Lands-
huter Professors Jakob Salat („Auch ein paar Worte über den neueren Mysticism,
als Resultat des Kulturgangs im teutschen Vaterlande“16) anstößig. Er gibt dar-
in einen Überblick über die Entwicklung der Aufklärung bis hin zu Kant und
seiner Morallehre, die Sittlichkeit und Religion trennt:
Freilich stieg er noch zu ,Gott‘ auf. Allein consequentere Nachfolger erblickten nun-
mehr das Höchste, Vollendete (Absolute) bereits in der Moral: wozu dann noch ein
Gott? Er mußte nur ihre moralische Triebfeder ‚verunreinigen‘! Diese Puristen stell-
ten daher ganz folgerecht ‚die Idee (?) des moralischen Atheismus‘ (!) auf.17
14 Der neue Teutsche Merkur, 12. Stück, December 1794, S. 353–370; 3. Abschnitt: Hierofantis,
S. 364–370, hier S. 364–365.
15 Ebd., S. 366–367.
16 Der neue Teutsche Merkur, 5. Stück, Juni 1806, S. 73–91.
17 Ebd., S. 77.
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
264 6. Fallstudien
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510