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Comte de Maurepas, Minister unter Louis XVI., ein begeisterter Sammler von
Schmähliedern und -epigrammen auf ihn selbst und seine Umgebung gewesen
sein.43 Laut Lamoignon de Malesherbes, dem Vorstand des französischen Buch-
handels in den 1750er Jahren, musste man verbotene Bücher lesen, wenn man
nicht ein Jahrhundert hinter seinen Zeitgenossen zurückbleiben wolle.44
Obwohl die Zensur Skandalchroniken nicht zum Druck zuließ bzw. verbot,
ist die reale Wirkung von verbalen Schmähungen der Herrscher umstritten.
Louis XV. soll sich die vox populi, die über ihn und seine Mätressen spottete,
sehr zu Herzen genommen haben,45 auf jeden Fall zerstörte sie, wie insbeson-
dere auch Hinweise auf königliche Impotenz, den pseudo-religiösen Nimbus des
gottgesalbten Herrscherkörpers. Gerade die Ausschweifungen Louis XV. mit
Mätressen aus der Unterschicht (insbesondere Madame de Pompadour und
Madame Du Barry) schadeten dem Ansehen des Königsamts, ja dem Glauben
an die Weltordnung, nachhaltig. „A prostitute transformed into a queen, coach-
men and grooms the equals of the king, a monarch wallowing in filth and slime,
here the world’s hierarchical order is already turned upside down.“46 Die Mon-
archie beruhte auf dem Glauben der Untertanen an die königliche Legitimität
und ihre Unantastbarkeit. Wenn der König, der den Staat buchstäblich verkör-
perte, libertiner Genussmaximierung anhing, vernachlässigte er die Regierungs-
aufgaben und die Königin. Ihr gegenüber verhält er sich, wie im oben zitierten
Beispiel, impotent, was über die Dysfunktion der königlichen Ehe hinaus das
Funktionieren des absoluten Staats infrage stellte.47 Die Angriffe konzentrierten
sich auf Marie-Antoinette, die zum Inbegriff der Ausschweifungen und des Bösen
gestempelt wurde. Zum größeren Teil gingen die Angriffe vom Hof aus, der auf
diese Weise die Legitimität der Bourbonen in Zweifel zog.48 Der König besaß
43 Robert Darnton: The Forbidden Best-Sellers of Pre-Revolutionary France. London: Harper
Collins Publishers 1996, S. 224–225.
44 „[...] un homme qui n’aurait jamais lu que les livres qui, dans leur origine, ont parus avec l’at-
tache expresse du Gouvernement, comme la loi le prescrit, serait en arrière de ses contempo-
rains presque d’un siècle.“ (Chrétien Guillaume de Lamoignon de Malesherbes: Mémoires sur
la librairie et sur la liberté de la presse. Paris: Agasse 1809; Nachdruck Genève: Slatkine 1969,
S. 300).
45 Robert Darnton: Poesie und Polizei. Öffentliche Meinung und Kommunikationsnetzwerke im
Paris des 18. Jahrhunderts. Aus dem Amerikanischen von Burkhardt Wolf. Frankfurt/Main:
Suhrkamp 2002, S. 58.
46 Jean-Pierre Guicciardi: Between the Licit and the Illicit: the Sexuality of the King. In: Robert
Purks Maccubbin (Hg.): ’Tis Nature’s Fault. Unauthorized Sexuality during the Enlightenment.
Cambridge, New York, New Rochelle, Melbourne, Sidney: Cambridge University Press 1987,
S. 88–97, hier S. 96.
47 Vgl. dazu Stephan Leopold: Liebe im Ancien Régime. Eros und Polis von Corneille bis Sade.
München: Fink 2014, S. 141–156.
48 Chantal Thomas: The Heroine of the Crime. Marie-Antoinette in Pamphlets. In: Dena Good-
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
272 6. Fallstudien
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510