Seite - 324 - in Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
Bild der Seite - 324 -
Text der Seite - 324 -
erzählte Gespenstergeschichte, in der der Offizier von Wildberg seinen Freund
von Friedheim (in der ersten Fassung F***) wegen eines nichtigen Anlasses,
einem Streit über Wunderglauben, im Duell tötet. Wildberg versinkt daraufhin
in Melancholie. Er gesteht, dass ihn F*** nach seinem Tod besuche; „er komme
zwar nicht selbst, aber in jeder Mitternacht rolle ein Todtenkopf, von einer Kugel
durchbohrt, durch die Mitte seines Schlafzimmers, stehe vor seinem Bette stille,
als wenn er ihn mahnend mit den leeren Augenhöhlen ansehen wolle, und ver-
schwinde dann wieder“.216 Der schaurige Besuch kommt regelmäßig um Mitter-
nacht: „Dann richtete Wildberg seine Augen starr auf den Boden: sieh, sprach
er leise, wie er zu mir heranschleicht! O vergieb, vergieb mir, mein lieber Freund,
ängstige mich nicht öfter, ich habe genug gelitten.“217
Die Pointe ist, dass die Freunde den Besessenen heilen wollen, indem sie selbst
einen Totenkopf ins Zimmer rollen lassen, woraufhin Wildberg zwei Totenköp-
fe sieht.
Schließlich findet sich im ersten Band der zweiten, überarbeiteten Ausgabe
des Romans, die in Österreich, wie gesagt, ebenfalls verboten wurde, noch ein
Bericht des Dieners Willy an seinen Bruder über den Kirchenbesuch der (mehr-
heitlich protestantischen) Reisegesellschaft in Rom. Er denke jetzt öfter an den
Tod und beklage das Fehlen einer richtigen Kirche.
Auch ist hier keine rechte Kirche für unser einen, das ist schlimm, mein Herr geht
oft in die Messe, doch hoffe ich immer noch, er thut es mehr der Weiber wegen, denn
wenn er gar Andacht da hätte und katholisch würde, nein, Thomas, das könnt ich
nimmermehr verwinden. Und es ist ein verführerisches Wesen mit den [!] Singsang
und prächtigen Kleidern; ja, lieber Bruder, ich habe mich wohl auch hinein verleiten
lassen, und habe ein oder zweimal (erschrick nur nicht), selbst eine Art von Andacht
gespürt. Das darf nicht wieder kommen. Ei, wenn ich meine rechtgläubige Englische
Gottesfurcht nicht wieder ganz heil und gesund mit mir zurück brächte, was würdest
Du oder jeder Christ von mir denken müssen?218
Zu den Merkwürdigkeiten der Zensur gehört es, dass es tolerierte einheimi-
sche Ausgaben verbotener Werke gab, so in diesem Fall eine Wiener Nach-
druckausgabe im Verlag Grund (1819) im Rahmen von Tiecks Sämmtlichen
Werken, die auf dem Titelblatt betonte, dass sie „wörtlich nach dem Originale“
(das heißt in diesem Fall nach dem Text von 1813/14) gesetzt sei. Tatsächlich
enthält diese Ausgabe auch die oben zitierte Stelle über den katholischen Got-
216 Ebd., S. 271.
217 Ebd., S. 272.
218 William Lovell von L. Tieck. Neue verbesserte Auflage, in zwei Bänden. Erster Band. Berlin:
Realschulbuchhandlung 1813, S. 170.
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
324 6. Fallstudien
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510