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ächten, wahren Staat, auf Freiheit gegründet, im Widerspruch aller jener quälenden,
engherzigen Hemmungen und unverständigen Bedingungen, die ihr Gesetze nennen
wollt! Alles, was sich losreißen kann, was der Freiheit genießen will, kommt zu uns,
und früher oder später muß unsre Gesinnung die im Lande herrschende sein, aus
unserer Kraft muß sich eine neue Verfassung, ein besseres Vaterland entwickeln, und
die schlimmern Räuber, die engherzigen, klüglich Eigennützigen, die zaghaften Ego-
isten sitzen, von uns verbannt, hinter ihren morschen Mauern und wurmstichigen
Gesetzen, an welche sie selber nicht mehr glauben.221
Das zweite Motiv betrifft den Filz von Machtpolitik und Klerus und den damit
verbundenen Nepotismus. Papst Gregor XIII. wird gerügt, weil er den Intrigen
der Kardinäle und dem gewalttätigen Treiben tatenlos zusieht und sich lieber
seiner Kalenderreform widmet. Der Poet Don Cesare Caporale spottet darüber:
„Bis jetzt glaubten wir, daß die Päpste nur für die sogenannte Ewigkeit sorgten,
aber jetzt werfen sie sich auch in die irdische Zeit, um da aufzuräumen.“222 Kar-
dinal Farnese wiederum wird ausfällig, wenn die Rede auf Kardinal Montalto,
den späteren Papst Sixtus V., kommt:
Was wollt ihr bei dem Duckmäuser? rief Farnese laut lachend: dieser kriechende trä-
ge Esel aus der Mark der in seinen Geberden noch immer den Bettel seiner Eltern
zur Schau trägt, der noch immer die Sprüchwörter der Kärrner und Viehtreiber von
dort im Munde führt, ein würdiger Liebling jenes fanatischen Pius des fünften, der
eben so armuthseelig entsprossen war […].223
Als er Papst wird, erweist sich der provinzielle „Duckmäuser“ übrigens als grau-
samer Tyrann und Despot, der massenhaft und gnadenlos Hinrichtungen anord-
net. Kardinal Farnese verkörpert die Unmoral des Klerus am nachdrücklichsten.
Er bietet Vittorias Mutter an, einen drohenden Prozess, der das Familienvermö-
gen gefährdet, zu beeinflussen, wenn Vittoria seine Mätresse wird. Dabei weist
er unumwunden auf den in Rom herrschenden Nepotismus hin: „[…] die Päbs-
te haben ihre Nepoten, die sie nicht nur beschützen, sondern reich und mächtig,
oft, wenn sich die günstige Gelegenheit bietet, zu unabhängigen und regieren-
den Fürsten machen. – Könnte ich nun euch und die eurigen nicht auf ähnliche
Weise adoptiren?“224 Das Sakrament der Ehe wird von Vittoria, nicht zuletzt
angesichts der unwürdigen Freier, verworfen. Mit heftigen Worten weist sie das
221 Vittoria Accorombona. Ein Roman in fünf Büchern von Ludwig Tieck. 2
Theile. Breslau: Josef
Max und Komp. 1840, Teil 2, S. 12–14.
222 Ebd., Teil 1, S. 68.
223 Ebd., Teil 1, S. 219.
224 Ebd., Teil 1, S. 156.
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
326 6. Fallstudien
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510