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letzten Moment von einem reichen Minenbesitzer namens Amoagoas vor der
Hinrichtung durch die Revolutionäre gerettet worden sei. Als Dank für die Ret-
tung habe Christoval Amoagoas’ Sohn die Hand seiner Tochter Inès verspro-
chen. Aus Bescheidenheit und weil er nicht wegen seines Reichtums, sondern
nur um seiner Tugenden willen geliebt werden wolle, sei er unter dem Namen
de Frescas in Paris aufgetreten. Vautrins ingeniöser Plan scheitert einerseits an
der Integrität Raouls, der Inès seinen wahren Lebenslauf gebeichtet hat, ande-
rerseits an der Mutter, die ihren Sohn nicht durch eine abenteuerliche Abstam-
mungsgeschichte in Misskredit bringen möchte. Sie bringt Vautrin dazu, auf den
Ziehsohn Raoul zu verzichten; damit nicht genug: Vautrin übergibt ihr zudem
Papiere, die ihre Unschuld beweisen. Das Ehepaar Montsorel versöhnt sich,
Raoul/Fernand heiratet Inès, nur Vautrin, eigentlich der ‚gute Geist‘ des Plots,
muss zurück ins Bagno, verspricht aber baldige Flucht aus dem Gewahrsam.
Da Vautrin, der hier die Rolle des Schicksals spielt, ein verurteilter Verbrecher
ist und sich krimineller Mittel bedient, kann das Stück als vordergründig unmo-
ralisch aufgefasst werden, wie schon die Reaktionen der Pariser Kritik auf die
Erstaufführung beweisen. Auch die französische Zensur hatte das Stück zweimal
zurückgewiesen, weil die titelgebende Figur zu sehr an den Räuber Robert Macai-
re gemahnt und damit an eine Figur, die vor keinem Verbrechen zurückschreckt.389
Vautrin klärt einen ‚Mitarbeiter‘ über die Motive für die soziale Erhöhung
Raoul de Frescas’ auf: „En échange de la flétrissure que la société m’a imprimé,
je lui rends un homme d’honneur: j’entre en lutte avec le destin; voulez-vous être
de la partie? Obéissez!“390 (Im Ausgleich für die Brandmarkung, die mir die
Gesellschaft aufgedrückt hat, gebe ich ihr einen Ehrenmann: ich trete in Wett-
streit mit dem Schicksal, wollen Sie mitmachen? Gehorchen Sie!)391
Damit nicht genug, vergleicht Vautrin seine Position jenseits aller Gesetze
auch noch mit der Position des Königs sowie mit der Gottes und des Teufels:
Vautrin. Enfant, il y a deux espèces d’hommes qui peuvent tout.
Raoul. Et qui sont?
Vautrin. Les rois, ils sont ou doivent être au-dessus des lois; et … tu vas te facher …
les criminels, qui sont au-dessous.
Raoul. Et comme tu n’es pas roi …
Vautrin. Eh bien! Je règne en dessous.
Raoul. Quelle affreuse plaisanterie me fais-tu là, Vautrin?
Vautrin. N’as-tu pas dit que le diable et Dieu s’étaient cotisés pour me fondre?392
389 Vgl. Henri Troyat: Balzac. Paris: Flammarion 1995, S. 363–364.
390 Balzac: Vautrin, S. 101.
391 Die Übersetzungen der Zitate aus Vautrin stammen vom Verfasser, N. B.
392 Ebd., S. 103.
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
382 6. Fallstudien
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510