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ihre Moral haben, so hat auch die Fabel eines Drama ihre Moral. Lessing sagt:
„Die Moral ist ein allgemeiner Satz aus den besonderen Umständen der han-
delnden Personen gezogen; durch seine Allgemeinheit wird er gewissermassen
der Sache fremd, er wird eine Ausschweifung, deren Beziehung auf das gegen-
wärtige von dem weniger aufmercksamen oder weniger scharfsinnigen Zuhörer
nicht bemerckt oder nicht begriffen wird.“ Beyspiele machen die Sache klärer.
Der König Lear, ein wohlthätiger Vater, legt seine Krone bey Lebzeiten in die
Hände zwoer undanckbaren Töchter nieder, welche ihn verstossen und im äus-
sersten Elende schmachten lassen, bis ihm die dritte Tochter Cordelia zu Hilf
kömmt und ihn rettet.
Die Moral dieses Stücks ist, daß ein Regent bey seinen Lebzeiten die Krone an
seine Nachfolger nicht abtretten soll, weil er Gefahr läuft, für seine Wohlthat mit
Undanck belohnt und mißhandelt zu werden.
Aus einem gewissen Trauerspiel, dessen Titel mir nicht beyfällt, worin die Haupt-
person von einer ausschweifenden Leidenschaft in die andere verfällt, bis sie
endlich in die Verzweiflung geräth und sich ermordet, wird die Moral abgezo-
gen, daß, wer sich in ein Laster stürzt, Gefahr läuft, noch andere zu begehen, die
ihn endlich zulezt in den Untergang stürzen.
Um auch ein Beyspiel vom lyrischen Theater anzuführen, so folgt zum Beyspie-
le aus der Operette: Zemire und Azor [von Jean-François Marmontel]: die Moral,
daß ein gutes Herz, wenn schon die äussere Gestalt fehlerhaft ist, dennoch zur
zärtlichen Liebe bewegen kann.
Ueberhaupt gilt die Regel, daß die Tugend allzeit liebenswürdig, das Laster aber
allzeit verabscheuungswürdig erscheinen muß. Die erstere kann mit Hindernis-
sen und Drangsalen kämpfen, darf aber nie scheitern oder sincken, so wie das
leztere nie triumphiren darf, sondern vielmehr bestraft werden muß. Die Bestra-
fung bestehet aber nicht blos in körperlichen Züchtigungen, sondern manch-
mals in dem öffentlichen Hasse oder Verachtung, wie im Fanatismus [Mahomet]
von Voltaire. Auf eben diese Art wird Graf Ottomar in der Ottilie von Brandes
bestraft; die betrogene Ottilie ergreift aus Verzweiflung den Dolch, setzt ihn
Ottomarn an die Brust mit dem Bedeuten, daß sie ihn in dessen Blut tauchen
würde, wenn es nicht zu schlecht wäre; sie ersticht sich daher selbst, und Otto-
mar stehet so verächtlich da, daß jedes Frauenzimmer, das nach diesem Speck-
takel eine Mannsperson träffe, die Ottomarn gliche, die Lust anwandeln könnte,
ihr ins Gesicht zu speien.
Der Dialog eines Stücks bestehet in der Sprache und in den Ausdrücken der
handelnden Personen eines Stücks.
Wenn der Stoff eines Stücks oder die Moral desselben wider die Religion, wider
die Staatsverfassung oder wider die Sitten sich verstößt, mithin im Grunde feh-
lerhaft ist, so kann es für die Ausführung nicht zugelassen werden, sondern es
muß verworfen werden, wie z. B. Kotzebue’s „Die Sonnenjungfrau“ …
2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 441
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510