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Inschriftenüberlieferung bis zum Ende des 14. Jahrhunderts | 33
Es ist offensichtlich, dass Berchtold den Inschrifttext nicht verstanden hat, ja sogar
kaum lesen konnte. Er selbst macht daraus aber ohnedies kein Hehl, indem er meint:
„[...] licet non ipsarum litterarum intellectus legentibus pateat manifeste“. Aus dem Weni-
gen, das er korrekt entziffern konnte, zog er den falschen Schluss, dass es sich bei
dem Stein um einen Beweis für die frühe Gründung der Laurentiuskirche handelte.
Dabei dürfte ihn zum einen der Name Secundinus am Anfang der Inschrift irrege-
führt haben74, zum anderen die Zahlenangabe am Ende der Inschrift, die Berchtold
wohl für die Jahreszahl 25 (n. Chr.) hielt. Der dazwischenliegende Text war für den
Mönch weniger interessant, und so ließ er in seiner Abschrift die ganze neunte Zeile
und einen Großteil der zehnten Zeile absichtlich weg75.
Dennoch muss sein Bemühen um den Text dieses epigraphischen Zeugnisses hoch-
geschätzt werden, und es scheint durchaus gerechtfertigt, Berchtold von Krems-
münster als „Pionier der Epigraphik“ zu bezeichnen76: In seinem Versuch, eine rö-
merzeitliche Inschrift als Quelle für die Geschichte der Laurentiusbasilika heran-
zuziehen, ging er zwar fehl, war aber gerade dadurch seiner Zeit weit voraus. Es
sollte noch mehr als eineinhalb Jahrhunderte dauern, ehe es auch nördlich der Alpen
keine Besonderheit mehr war, dass innerhalb der gelehrten Schicht antike Inschrift-
texte verstanden und als Quellen in ihrem wahren Wert erkannt wurden.
Aus dieser Zeit – spätes 15./frühes 16. Jahrhundert – stammt eine Randbemerkung
unterhalb der rechten Spalte im CC Cim. 3, fol. 1rb (siehe Abb. 1): „Ille fuit Romanus
Miles Veteranus legionis etc.“ Die beiden Kürzungszeichen am Ende der Marginalie
sind etwas schwierig aufzulösen, aber doch eindeutig als „et cetera“ zu lesen. Die
streng paläographische Lesart „etiam infra“ ist vom Sinn her gänzlich auszuschließen,
die dritte Möglichkeit „secundae Italicae“ würde implizieren, dass der Schreiber der
Bemerkung die Inschrift selbst gekannt und verstanden haben müsste, denn alleine
aus dem Text Berchtolds konnte das Wissen, welcher Legion der Soldat Seccius
Secundinus angehört hatte, nicht geschöpft worden sein.77 Wer die Person war, die
hier mit Nachdruck aufklären wollte, dass es sich um eine Inschrift für einen römi-
schen Soldaten handelt, war bislang nicht bekannt, wohl auch deshalb, weil der
Codex Cremifanensis als wichtige Quelle für die bayerische und österreichische
Geschichte des Mittelalters vor allem im 14. und 15. Jahrhundert rege benutzt und –
zum Teil nur auszugsweise – kopiert wurde.78 So kennen wir beispielsweise eine
74 Der Bruder des Bischofs Constantius von Lorch hat ebenfalls diesen Namen getragen. Quelle da-
für ist die „Vita beati Antonii Lerinensis“ des Magnus Felix Ennodius (473/474–521) – Antonius war
Secundinus’ Sohn; Vgl. Uiblein, Altertumsforschung 98, sowie Friedrich Vogel (Hrsg.), Magni Felicis
Ennodi Opera (MGH Auct. Ant. VII, Berlin 1885), Opusc. 4 (= Nr. CCXL) 186.
75 Der Vermerk „et infra“ im Text (CC Cim. 3, fol. 1rb) ist ein deutlicher Hinweis darauf. Diese Art des
(unvollständigen) Zitierens ist v. a. aus kanonistischen Texten bekannt und war Berchtold mit
Sicherheit geläufig. Loserth, Kremsmünsterer Geschichtsquellen 33, schreibt im Gegensatz zu Waitz
in den MGH (vgl. oben Anm. 68) 652 (Z. 20) nicht „et infra“, sondern „etc.: i.“ und lässt auch
„o(bito)“ aus.
76 Niegl, Erforschung der Römerzeit 25.
77 An dieser Stelle sei Hauke Fill (Stift Kremsmünster) und Sonja Reisner (Universität Wien) sehr
herzlich für ihre Unterstützung und fachliche Meinung gedankt.
78 Vgl. hiezu Leidinger, Bernardus Noricus, v. a. 5–7. (mit weiterführenden Literaturangaben).
Der sogenannte Antiquus Austriacus und weitere auctores antiquissimi
Zur ältesten Überlieferung römerzeitlicher Inschriften im österreichischen Raum
- Titel
- Der sogenannte Antiquus Austriacus und weitere auctores antiquissimi
- Untertitel
- Zur ältesten Überlieferung römerzeitlicher Inschriften im österreichischen Raum
- Autor
- Doris Marth
- Verlag
- Holzhausen Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-902976-43-7
- Abmessungen
- 21.4 x 30.2 cm
- Seiten
- 572
- Schlagwörter
- Antiquus Austriacus, Austria, Epigraphy, Humanism, Inscriptions, Manuscript Tradition, Roman Period, Antiquus Austriacus, Epigraphik, Humanismus, Inschriften, Österreich, Römerzeit, Überlieferung
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1 Zur historischen Entwicklung der Überlieferung lateinischer, insbesondere norischer Inschriften von den Anfängen bis zum Ende des 14. Jahrhunderts 19
- 1.1 Anfänge und Vorstufen der Überlieferung lateinischer Inschriften 19
- 1.2 Anfänge und Vorstufen der Überlieferung norischer Inschriften 23
- 1.3 Berchtold von Kremsmünster und die älteste Abschrift einer norischen Inschrift 26
- 1.4 Die Inschrift CIL III 5630 im Codex membraneus LIV des Stiftes Lambach 36
- 2 Neue Impulse aus Italien: Humanismus und Renaissance als „Geburtsphase“ der lateinischen Epigraphik 40
- 3 Die Ausbreitung und Etablierung humanistischen Gedankengutes im Ostalpenraum aus epigraphischer Sicht 56
- 4 Augustinus Prygl Tyfernus und die norischen Inschriften 99
- 5 Der sogenannte Antiquus Austriacus: Mommsens Pseudonym für den Verfasser der ältesten Sammlung norischer Inschriften 139
- 6 Die Wiener Handschrift CVP 3255* 147
- 7 Der Codex Pragensis XIII G 14 der Národní Knihovna, Prag 162
- 7.1 Das Verhältnis zwischen CP XIII G 14 und CVP 3255*: Eine Inschriftensammlung und ihr Register 170
- 7.2 Folgen aus dem Zusammenhang CVP 3255* – CP XIII G 14 174
- 7.3 Johannes Fuchsmagen und der CP XIII G 14 182
- 7.4 Zur Frage nach den Quellen für den CP XIII G 14 198
- 7.5 Codex Pragensis XIII G 14: Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse und Gesamtbetrachtung 221
- 8 Konrad Peutinger und die norischen Inschriften 228
- 8.1 Peutingers handschriftliche Inschriftensammlungen 230
- 8.2 Johannes Fuchsmagen als Peutingers Gewährsmann 244
- 8.3 Die „Antiquus-Austriacus-Inschriften“ und die Inschriften von Augustinus Prygl Tyfernus in Peutingers 2° Cod. H 24 246
- 8.4 Zusammenfassung: Der Wert von Peutingers Handschriften für die Überlieferung norischer Inschriften 264
- 9 Johannes Choler und seine Inschriftensammlung 265
- 10 Die „Inscriptiones Sacrosanctae Vetustatis“ von Petrus Apianus und Bartholomaeus Amantius 295
- 10.1 Zur Intention und Gliederung des Werkes sowie zur Nennung seiner Quellen 300
- 10.2 Johannes Choler und die Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 301
- 10.3 Die Inschriftensammlungen von Konrad Peutinger und Augustinus Prygl Tyfernus – Quelle für die Inscriptiones sacrosanctae vetustatis? 302
- 10.4 Johannes Aventinus als Quelle für die Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 304
- 10.5 Der Codex Pragensis XIII G 14 und sein Verhältnis zu den Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 305
- 10.5.1 Das Verzeichnis epigraphischer Abkürzungen im CP XIII G 14 und bei Apianus/Amantius 307
- 10.5.2 Der CP XIII G 14 als Quelle für norische (und oberpannonische) Inschriften bei Apianus/Amantius 311
- 10.5.3 Konsequenzen aus dem unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem CP XIII G 14 und den Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 330
- 10.6 Parallel verwendete Quellen und mehrfach überlieferte Inschriften bei Apianus/Amantius 337
- 10.7 Zusammenfassende Betrachtungen zur Arbeitsweise von Apianus/ Amantius und Gesamtbewertung der Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 345
- 11 Johannes Fuchsmagen und seine epigraphische Sammeltätigkeit 347
- 12 Anhang: Tabellen zur Überlieferung norischer und oberpannonischer Inschriften 376
- Einleitende Bemerkungen und Hinweise zur Benützung 376
- Tab. 12.1: Inschriften bei Paolo Santonino, Cod. Vat. Lat. 3795 379
- Tab. 12.2: Inschriften, die von Augustinus Tyfernus und vom sogenannten Antiquus Austriacus überliefert werden 380
- Tab. 12.3: Im CVP 3255* und CP XIII G 14 enthaltene Inschriften 386
- Tab. 12.4: Inschriften in den Codices von Augustinus Tyfernus im Vergleich mit dem CP XIII G 14 395
- Tab. 12.5: Inschriften-Erstbelege bei „Antiquus Austriacus“, Augustinus Tyfernus und im CP XIII G 14 415
- Tab. 12.6: Inschriften im 4° Cod. H 26 der SuStBA („Picturae“) im Vergleich mit dem CP XIII G 14 425
- Tab. 12.7: Inschriften in Peutingers 2° Cod. H 23 im Vergleich mit dem CP XIII G 14 427
- Tab. 12.8: Inschriften in Peutingers 2° Cod. H 24 im Vergleich mit dem CP XIII G 14 428
- Tab. 12.9: Inschriften in Cholers CLM 394 im Vergleich mit Peutingers 2° Cod. H 24 und CP XIII G 14 437
- Tab. 12.10: Inschriften bei Apianus/Amantius im Vergleich mit Augustinus Tyfernus und Peutingers 2° Cod. H 24 443
- Tab. 12.11: Inschriften bei Apianus/Amantius im Vergleich mit dem CP XIII G 14 475
- Tab. 12.12: „Antiquus-Austriacus-Inschriften“ bei Peutinger, Choler, CP XIII G 14/Fuchsmagen und Apianus/Amantius 490
- Abkürzungs- und Siglenverzeichnis 503
- Quellen- und Literaturverzeichnis 508
- Abbildungsnachweis 539
- Indices 542
- Inschriftenindex 542
- Orts- und Personenindex 548