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Humanismus und Renaissance aus epigraphischer Sicht | 41
italienischen Humanismus setzte. Für die Klassische Philologie ist er zweifellos
richtungsweisend geworden, für die Epigraphik hingegen sind seine Anregungen
bescheiden geblieben. Petrarcas Herz schlug laut für die Ruinen des antiken Rom,
die er 1337 erstmals sehen durfte, doch faszinierten ihn diese vornehmlich als Zeu-
gen der glanzvollen Vergangenheit der Stadt und weniger als Forschungsobjekte. In
seinem Brief an Giovanni Colonna, mit dem er durch Rom spaziert ist, erwähnt er
zwar viele Überreste, verzichtet aber sowohl auf eine nähere Angabe zum Ort als
auch auf eine genauere Beschreibung.108 Petrarca scheint diesbezüglich eher den Blick
für das Ganze gehabt zu haben, nicht für das Detail. Im Gegensatz zu späteren
Humanisten war er ein Enthusiast des Altertums, nicht der Altertümer, um eine
Formulierung von Ferdinand Gregorovius zu variieren.109 Anders ist es kaum zu er-
klären, dass Petrarca beispielsweise der mittelalterlichen Legende Glauben schenkte,
welche die Cestius-Pyramide als Grabmal des Remus deutete, obwohl an Ost- und
Westseite des gut erhaltenen Baues noch heute zwei gleichlautende Inschriften zu
lesen sind110, und den nach P. Aelius Hadrianus benannten Ponte Elio (h. Ponte
S. Angelo) mit Trajan statt mit Hadrian in Verbindung brachte.111 Es wäre freilich
grundfalsch, dem großen Pionier des Humanismus mangelndes Interesse an römer-
zeitlichen Inschriften vorzuwerfen: Seinen fiktiven Brief an den Historiker Livius
datiert Petrarca gar mit den Worten „in vestibulo Iustine Virginis et ante ipsam sepulcri
tui lapidem, VIII Kal. Martias MCCCLI“112, doch ging er in der Deutung des inschrift-
lichen Denkmals ebenso fehl wie die übrigen Zeitgenossen, denen verborgen blieb,
dass es sich in Wahrheit um den Grabstein des T. Livius Halys handelte.113
Große Fortschritte, was Lesefähigkeit, epigraphisches Verständnis und damit auch
Kritikfähigkeit gegenüber mittelalterlichen (Fehl-)Interpretationen betrifft, machte
bereits ein etwas jüngerer Zeitgenosse Petrarcas: Cola di Rienzo (1313–1354). Ange-
steckt von Petrarcas frenetischer Liebe zur Antike und tief beeindruckt von seiner
Dichterkrönung am Ostersonntag des Jahres 1341 auf dem Kapitol in Rom, verstieg
108 Francesco Petrarca, Familiarium rerum libri VI,2. Vgl. dazu Weiss, Discovery of Antiquity 33, und
Mazzocco, Antiquarianism of Petrarch 207–208; dort auch weiterführende Literatur zur strittigen
Frage der Datierung des Briefes. Dass für Petrarca die stadtrömischen Ruinen v. a. eine Quelle der
Inspiration waren, zeigt besonders schön die literarische Überhöhung der teilweise anachronis-
tischen Rombeschreibung in seinem Epos Africa (VIII 862–951).
109 Dieser charakterisierte Papst Paul II. (eig. Pietro Barbo, 1464–1471) als „Enthusiast nicht des Alter-
tums, sondern der Altertümer“: Siehe Ferdinand Gregorovius, Geschichte der Stadt Rom im Mittel-
alter. Vom V. bis zum XVI. Jahrhundert, neu hrsg. von Waldemar Kampf, Basel 1957, III 266.
110 CIL VI 1374a (+ S. 4688; 4774) = ILS 917: C(aius) Cestius L(uci) f(ilius) Pob(lilia tribu) praetor tribunus
plebis septem-vir epulonum.
111 Voigt, Humanismus I 267, und Weiss, Discovery of Antiquity 34, nennen die Trajanssäule als weiteres
Beispiel für einen von Petrarcas „archeological slips“, doch war dieses Monument tatsächlich das,
wofür es auch Petrarca hielt: das Grabmal des Kaisers; vgl. Hartmann, Zwischen Relikt und Reliquie
384.
112 Rerum familiarum libri XXIV 8.
113 CIL V 2865, h. im Palazzo della Ragione in Padua. Abbildung und weitere Literatur zu der
zwischenzeitlich in der Kirche S. Giustina eingemauerten Grabinschrift bei Calabi-Limentani, Tav.
V (nach S. 112). Erst im Jahre 1669 wurde die Inschrift vom deutschen Italienreisenden Marquardt
Gude (Gudius) erstmals richtig gelesen und damit auch der Irrtum der Zuschreibung aufgeklärt;
vgl. Calabi Limentani, Epigrafia Latina 99. Als die „echte“ Grabinschrift das Historikers Livius wird
heute vielfach CIL V 2975 = ILS 2919 angesehen.
Der sogenannte Antiquus Austriacus und weitere auctores antiquissimi
Zur ältesten Überlieferung römerzeitlicher Inschriften im österreichischen Raum
- Titel
- Der sogenannte Antiquus Austriacus und weitere auctores antiquissimi
- Untertitel
- Zur ältesten Überlieferung römerzeitlicher Inschriften im österreichischen Raum
- Autor
- Doris Marth
- Verlag
- Holzhausen Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-902976-43-7
- Abmessungen
- 21.4 x 30.2 cm
- Seiten
- 572
- Schlagwörter
- Antiquus Austriacus, Austria, Epigraphy, Humanism, Inscriptions, Manuscript Tradition, Roman Period, Antiquus Austriacus, Epigraphik, Humanismus, Inschriften, Österreich, Römerzeit, Überlieferung
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1 Zur historischen Entwicklung der Überlieferung lateinischer, insbesondere norischer Inschriften von den Anfängen bis zum Ende des 14. Jahrhunderts 19
- 1.1 Anfänge und Vorstufen der Überlieferung lateinischer Inschriften 19
- 1.2 Anfänge und Vorstufen der Überlieferung norischer Inschriften 23
- 1.3 Berchtold von Kremsmünster und die älteste Abschrift einer norischen Inschrift 26
- 1.4 Die Inschrift CIL III 5630 im Codex membraneus LIV des Stiftes Lambach 36
- 2 Neue Impulse aus Italien: Humanismus und Renaissance als „Geburtsphase“ der lateinischen Epigraphik 40
- 3 Die Ausbreitung und Etablierung humanistischen Gedankengutes im Ostalpenraum aus epigraphischer Sicht 56
- 4 Augustinus Prygl Tyfernus und die norischen Inschriften 99
- 5 Der sogenannte Antiquus Austriacus: Mommsens Pseudonym für den Verfasser der ältesten Sammlung norischer Inschriften 139
- 6 Die Wiener Handschrift CVP 3255* 147
- 7 Der Codex Pragensis XIII G 14 der Národní Knihovna, Prag 162
- 7.1 Das Verhältnis zwischen CP XIII G 14 und CVP 3255*: Eine Inschriftensammlung und ihr Register 170
- 7.2 Folgen aus dem Zusammenhang CVP 3255* – CP XIII G 14 174
- 7.3 Johannes Fuchsmagen und der CP XIII G 14 182
- 7.4 Zur Frage nach den Quellen für den CP XIII G 14 198
- 7.5 Codex Pragensis XIII G 14: Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse und Gesamtbetrachtung 221
- 8 Konrad Peutinger und die norischen Inschriften 228
- 8.1 Peutingers handschriftliche Inschriftensammlungen 230
- 8.2 Johannes Fuchsmagen als Peutingers Gewährsmann 244
- 8.3 Die „Antiquus-Austriacus-Inschriften“ und die Inschriften von Augustinus Prygl Tyfernus in Peutingers 2° Cod. H 24 246
- 8.4 Zusammenfassung: Der Wert von Peutingers Handschriften für die Überlieferung norischer Inschriften 264
- 9 Johannes Choler und seine Inschriftensammlung 265
- 10 Die „Inscriptiones Sacrosanctae Vetustatis“ von Petrus Apianus und Bartholomaeus Amantius 295
- 10.1 Zur Intention und Gliederung des Werkes sowie zur Nennung seiner Quellen 300
- 10.2 Johannes Choler und die Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 301
- 10.3 Die Inschriftensammlungen von Konrad Peutinger und Augustinus Prygl Tyfernus – Quelle für die Inscriptiones sacrosanctae vetustatis? 302
- 10.4 Johannes Aventinus als Quelle für die Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 304
- 10.5 Der Codex Pragensis XIII G 14 und sein Verhältnis zu den Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 305
- 10.5.1 Das Verzeichnis epigraphischer Abkürzungen im CP XIII G 14 und bei Apianus/Amantius 307
- 10.5.2 Der CP XIII G 14 als Quelle für norische (und oberpannonische) Inschriften bei Apianus/Amantius 311
- 10.5.3 Konsequenzen aus dem unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem CP XIII G 14 und den Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 330
- 10.6 Parallel verwendete Quellen und mehrfach überlieferte Inschriften bei Apianus/Amantius 337
- 10.7 Zusammenfassende Betrachtungen zur Arbeitsweise von Apianus/ Amantius und Gesamtbewertung der Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 345
- 11 Johannes Fuchsmagen und seine epigraphische Sammeltätigkeit 347
- 12 Anhang: Tabellen zur Überlieferung norischer und oberpannonischer Inschriften 376
- Einleitende Bemerkungen und Hinweise zur Benützung 376
- Tab. 12.1: Inschriften bei Paolo Santonino, Cod. Vat. Lat. 3795 379
- Tab. 12.2: Inschriften, die von Augustinus Tyfernus und vom sogenannten Antiquus Austriacus überliefert werden 380
- Tab. 12.3: Im CVP 3255* und CP XIII G 14 enthaltene Inschriften 386
- Tab. 12.4: Inschriften in den Codices von Augustinus Tyfernus im Vergleich mit dem CP XIII G 14 395
- Tab. 12.5: Inschriften-Erstbelege bei „Antiquus Austriacus“, Augustinus Tyfernus und im CP XIII G 14 415
- Tab. 12.6: Inschriften im 4° Cod. H 26 der SuStBA („Picturae“) im Vergleich mit dem CP XIII G 14 425
- Tab. 12.7: Inschriften in Peutingers 2° Cod. H 23 im Vergleich mit dem CP XIII G 14 427
- Tab. 12.8: Inschriften in Peutingers 2° Cod. H 24 im Vergleich mit dem CP XIII G 14 428
- Tab. 12.9: Inschriften in Cholers CLM 394 im Vergleich mit Peutingers 2° Cod. H 24 und CP XIII G 14 437
- Tab. 12.10: Inschriften bei Apianus/Amantius im Vergleich mit Augustinus Tyfernus und Peutingers 2° Cod. H 24 443
- Tab. 12.11: Inschriften bei Apianus/Amantius im Vergleich mit dem CP XIII G 14 475
- Tab. 12.12: „Antiquus-Austriacus-Inschriften“ bei Peutinger, Choler, CP XIII G 14/Fuchsmagen und Apianus/Amantius 490
- Abkürzungs- und Siglenverzeichnis 503
- Quellen- und Literaturverzeichnis 508
- Abbildungsnachweis 539
- Indices 542
- Inschriftenindex 542
- Orts- und Personenindex 548