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Humanismus und Renaissance aus epigraphischer Sicht | 45
Inschriftensammlung wird man einen Satz Salutatis („Video quidem te pauco tempore
nobis urbem totam antiquis epigrammatibus traditurum“129) hingegen nicht heranziehen
dürfen. Sonst wissen wir sehr wenig über Poggios epigraphische Forschungen wäh-
rend seines ersten Romaufenthaltes. Seine Briefe sind erst ab dem Jahr 1416 erhalten
geblieben, andere schriftliche Hinweise fehlen bis dato. So scheitert auch der Versuch
einer Zuweisung der ältesten Fassung der Sylloge Signoriliana an Poggio Bracciolini
nicht zuletzt am Mangel an Beweisen.130
Dass Poggio dennoch (mit) an den Anfang der humanistischen Inschriftenüberliefe-
rung gesetzt werden kann, ist mehr oder minder einem Zufall zu verdanken. Im
Rahmen seines Aufenthaltes in Konstanz 1413–1415 anlässlich des Konzils nutzte er
Mußestunden zu Ausflügen in benachbarte Klöster, um in den dortigen Bibliotheken
nach alten Handschriften zu suchen. Dabei fiel ihm in einer namentlich nicht be-
kannten Abtei ein quaternio mit einer Abschrift der Sammlung des Anonymus Ein-
sidlensis in die Hände.131 Poggio ließ den betreffenden Bogen heimlich mitgehen, um
nach seiner Rückkehr nach Rom die Abschriften des Mönches mit den noch vorhan-
denen Originalen zu vergleichen. In Fällen, wo dies möglich war, übernahm Poggio
den Text direkt von der Inschrift, dort, wo er nichts mehr finden konnte, kopierte er
sorgfältig die Abschriften des Anonymus Einsidlensis. Um größere Wirklichkeitstreue
vermitteln zu können, transkribierte er den Text der von ihm selbst gesehenen In-
schriften in Großbuchstaben, während er für die aus der Vorlage übernommenen
Inschrifttexte Minuskeln verwendete.132
Der Archetyp von Poggios Werk ist zwar verschollen, doch blieb die Sammlung
glücklicherweise in Form von Abschriften erhalten.133 An der Spitze der Überliefe-
129 Zitiert bei Iiro Kajanto, Poggio Bracciolini and Classical Epigraphy, in: Arctos 19 (1985) 19–40, hier: 20,
Anm. 6. Vgl. auch Walser, Poggius Florentinus 28.
Salutati selbst hatte die Autorität von Inschriften in strittigen Orthographiefragen erkannt und zog
diese als glaubwürdige Ergänzung zu den ältesten verfügbaren Handschriften heran („Tifernum“
statt „Tyfernum“ für das h. Città di Castello); siehe dazu am besten Berthold Louis Ullman, The
Humanism of Coluccio Salutati (Medioevo e Umanesimo 4, Padova 1963), v. a. 102–103. Auch
Angelo Poliziano stützte sich 1489 in seiner Miscellaneorum centuria prima (Kap. 77) neben drei
codices auf zwei Inschriften, um zu beweisen, es müsse entgegen der verbreiteten Meinung
„Vergilius“ heißen und nicht „Virgilius“; dazu Anthony Grafton, On the Scholarship of Politian and
its Context, in: JWCI 40 (1977) 150–188, bes. 150–151 und 183. Eine Monographie zur Rolle
römerzeitlicher Inschriften in philologischen Abhandlungen von (italienischen) Humanisten
wurde m. W. noch nicht publiziert.
130 Vgl. Kajanto, Poggio and Epigraphy 19–21.
131 Es handelte sich dabei mit großer Wahrscheinlichkeit nicht um den heute bekannten Codex Ein-
sidlensis 326, sondern um eine Abschrift, die Poggio 1451 durch Verleihen abhanden gekommen
ist, wie er selbst in einem Brief mitteilt; vgl. Walser, Poggius Florentinus 146, und Ott, Entdeckung
des Altertums 139.
132 Poggio war auch im wahrsten Sinn des Wortes federführend bei der Entwicklung der neuen
humanistischen Buchschrift, den sog. litterae antiquae. Bei den Minuskeln griff er bewusst auf vor-
gotische, und zwar auf karolingische Schriftformen zurück, bei den Majuskeln lehnte er sich an
die litterae der römerzeitlichen Inschriften an. Siehe dazu Ullman, Humanistic Script, Kap. 2, bes.
54–56.
133 Zur Überlieferung und Edition von Poggios Sammlung siehe CIL VI, S. XXVIII–XL, ICUR II 1, 11–
12 und 338–342 sowie Ziebarth, De antiquissimis syllogis 248–249.
Der sogenannte Antiquus Austriacus und weitere auctores antiquissimi
Zur ältesten Überlieferung römerzeitlicher Inschriften im österreichischen Raum
- Titel
- Der sogenannte Antiquus Austriacus und weitere auctores antiquissimi
- Untertitel
- Zur ältesten Überlieferung römerzeitlicher Inschriften im österreichischen Raum
- Autor
- Doris Marth
- Verlag
- Holzhausen Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-902976-43-7
- Abmessungen
- 21.4 x 30.2 cm
- Seiten
- 572
- Schlagwörter
- Antiquus Austriacus, Austria, Epigraphy, Humanism, Inscriptions, Manuscript Tradition, Roman Period, Antiquus Austriacus, Epigraphik, Humanismus, Inschriften, Österreich, Römerzeit, Überlieferung
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1 Zur historischen Entwicklung der Überlieferung lateinischer, insbesondere norischer Inschriften von den Anfängen bis zum Ende des 14. Jahrhunderts 19
- 1.1 Anfänge und Vorstufen der Überlieferung lateinischer Inschriften 19
- 1.2 Anfänge und Vorstufen der Überlieferung norischer Inschriften 23
- 1.3 Berchtold von Kremsmünster und die älteste Abschrift einer norischen Inschrift 26
- 1.4 Die Inschrift CIL III 5630 im Codex membraneus LIV des Stiftes Lambach 36
- 2 Neue Impulse aus Italien: Humanismus und Renaissance als „Geburtsphase“ der lateinischen Epigraphik 40
- 3 Die Ausbreitung und Etablierung humanistischen Gedankengutes im Ostalpenraum aus epigraphischer Sicht 56
- 4 Augustinus Prygl Tyfernus und die norischen Inschriften 99
- 5 Der sogenannte Antiquus Austriacus: Mommsens Pseudonym für den Verfasser der ältesten Sammlung norischer Inschriften 139
- 6 Die Wiener Handschrift CVP 3255* 147
- 7 Der Codex Pragensis XIII G 14 der Národní Knihovna, Prag 162
- 7.1 Das Verhältnis zwischen CP XIII G 14 und CVP 3255*: Eine Inschriftensammlung und ihr Register 170
- 7.2 Folgen aus dem Zusammenhang CVP 3255* – CP XIII G 14 174
- 7.3 Johannes Fuchsmagen und der CP XIII G 14 182
- 7.4 Zur Frage nach den Quellen für den CP XIII G 14 198
- 7.5 Codex Pragensis XIII G 14: Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse und Gesamtbetrachtung 221
- 8 Konrad Peutinger und die norischen Inschriften 228
- 8.1 Peutingers handschriftliche Inschriftensammlungen 230
- 8.2 Johannes Fuchsmagen als Peutingers Gewährsmann 244
- 8.3 Die „Antiquus-Austriacus-Inschriften“ und die Inschriften von Augustinus Prygl Tyfernus in Peutingers 2° Cod. H 24 246
- 8.4 Zusammenfassung: Der Wert von Peutingers Handschriften für die Überlieferung norischer Inschriften 264
- 9 Johannes Choler und seine Inschriftensammlung 265
- 10 Die „Inscriptiones Sacrosanctae Vetustatis“ von Petrus Apianus und Bartholomaeus Amantius 295
- 10.1 Zur Intention und Gliederung des Werkes sowie zur Nennung seiner Quellen 300
- 10.2 Johannes Choler und die Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 301
- 10.3 Die Inschriftensammlungen von Konrad Peutinger und Augustinus Prygl Tyfernus – Quelle für die Inscriptiones sacrosanctae vetustatis? 302
- 10.4 Johannes Aventinus als Quelle für die Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 304
- 10.5 Der Codex Pragensis XIII G 14 und sein Verhältnis zu den Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 305
- 10.5.1 Das Verzeichnis epigraphischer Abkürzungen im CP XIII G 14 und bei Apianus/Amantius 307
- 10.5.2 Der CP XIII G 14 als Quelle für norische (und oberpannonische) Inschriften bei Apianus/Amantius 311
- 10.5.3 Konsequenzen aus dem unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem CP XIII G 14 und den Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 330
- 10.6 Parallel verwendete Quellen und mehrfach überlieferte Inschriften bei Apianus/Amantius 337
- 10.7 Zusammenfassende Betrachtungen zur Arbeitsweise von Apianus/ Amantius und Gesamtbewertung der Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 345
- 11 Johannes Fuchsmagen und seine epigraphische Sammeltätigkeit 347
- 12 Anhang: Tabellen zur Überlieferung norischer und oberpannonischer Inschriften 376
- Einleitende Bemerkungen und Hinweise zur Benützung 376
- Tab. 12.1: Inschriften bei Paolo Santonino, Cod. Vat. Lat. 3795 379
- Tab. 12.2: Inschriften, die von Augustinus Tyfernus und vom sogenannten Antiquus Austriacus überliefert werden 380
- Tab. 12.3: Im CVP 3255* und CP XIII G 14 enthaltene Inschriften 386
- Tab. 12.4: Inschriften in den Codices von Augustinus Tyfernus im Vergleich mit dem CP XIII G 14 395
- Tab. 12.5: Inschriften-Erstbelege bei „Antiquus Austriacus“, Augustinus Tyfernus und im CP XIII G 14 415
- Tab. 12.6: Inschriften im 4° Cod. H 26 der SuStBA („Picturae“) im Vergleich mit dem CP XIII G 14 425
- Tab. 12.7: Inschriften in Peutingers 2° Cod. H 23 im Vergleich mit dem CP XIII G 14 427
- Tab. 12.8: Inschriften in Peutingers 2° Cod. H 24 im Vergleich mit dem CP XIII G 14 428
- Tab. 12.9: Inschriften in Cholers CLM 394 im Vergleich mit Peutingers 2° Cod. H 24 und CP XIII G 14 437
- Tab. 12.10: Inschriften bei Apianus/Amantius im Vergleich mit Augustinus Tyfernus und Peutingers 2° Cod. H 24 443
- Tab. 12.11: Inschriften bei Apianus/Amantius im Vergleich mit dem CP XIII G 14 475
- Tab. 12.12: „Antiquus-Austriacus-Inschriften“ bei Peutinger, Choler, CP XIII G 14/Fuchsmagen und Apianus/Amantius 490
- Abkürzungs- und Siglenverzeichnis 503
- Quellen- und Literaturverzeichnis 508
- Abbildungsnachweis 539
- Indices 542
- Inschriftenindex 542
- Orts- und Personenindex 548