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46 | Humanismus und Renaissance aus epigraphischer Sicht
rung stehen zwei Codices mit jeweils unterschiedlichen Vorzügen: Die Handschrift
Ms. 430 aus der Biblioteca Angelica in Rom weist zwar inhaltliche Lücken auf134,
punktet aber insgesamt durch größere Zuverlässigkeit.135 Cod. Vat. Lat. 9152 aus der
Biblioteca Apostolica Vaticana wiederum hat trotz Mängeln in der Genauigkeit
insofern großen Wert, als er Poggios Kopien aus dem Codex Einsidlensis vollständig
und in ihrer oben genannten formalen Differenzierung zu seinen eigenen
Abschriften überliefert.136
Hier setzt auch Martin Ott mit seinem „Interpretationsmodell der humanistischen
Inschriftensylloge“ an.137 Den chronologischen Ausgangspunkt seiner Überlegungen
bilden die Sylloge Signoriliana und die Sylloge Poggiana in Verbindung mit der von
Poggio entdeckten Sammlung des Anonymus Einsidlensis. Ott stützt sich in seinem
Bestreben, die Inschriftensammlung als literarisches Genus zu identifizieren, vor
allem auf formale Aspekte der erwähnten Zusammenstellungen, insbesondere auf
die zweiteilige Struktur: Ortsangabe („Lokalisierung“) und zugehöriger Inschrifttext.
Für ihn markiert Poggio insofern den Beginn dieser literarischen Tradition, als er aus
der Einsiedler Sammlung nicht nur die Inschrifttexte, sondern auch deren Anord-
nungsprinzip mit der syntaktischen Gestaltung der Ortsangaben übernahm. Die
Sylloge Signoriliana steht für Ott etwas außerhalb dieses „Übernahmeszenarios“, weil
in der ältesten Fassung, der oben erwähnten Farrago Barberiniana (Cod. Barb.
Lat. 1952), die „Ortsangaben geringfügig länger sind, ein Verb enthalten, also nicht
als bloße Ortsangabe wiedergegeben sind: ‚lictere super portam maiorem‘‚ ‚lictere in
eadem porta‘.“138 Ich bin überzeugt, dass hier ein Missverständnis die Argumentation
von Ott beeinflusst. Tatsächlich passt auch bereits der Cod. Barb. Lat. 1952 in das von
Ott konstatierte Schema: Die Handschrift stammt aus dem frühen 15. Jahrhundert,
also aus einer Zeit, in der die paläographische Ligatur für „tt“ der Buchstabenfolge
„ct“ sehr ähnlich sah.139 Dies führte offenbar zur Lesart des nicht existierenden
Verbums „lictere“ anstelle des Nominativ Plural „litterae“ – eine Form, die an sämt-
lichen im Codex vorkommenden Stellen perfekt zur übrigen Syntax der Ortsangaben
passt.140 Generell ist festzuhalten, dass die Verwendung dieses Begriffes innerhalb
der Ortsangabe einer Inschrift bei den Humanisten überaus häufig ist.
Werfen wir aber zunächst noch einmal einen kurzen Blick zurück auf die Zeit vor
Poggios Tätigkeit. Wie erwähnt, setzt Ott diesen Humanisten mit seiner imitatio und
seinem supplementum des Codex Einsidlensis an den (formalen) Beginn der Inschriften-
sammlung. Interessanterweise ist bereits um 1375 bei Giovanni Dondi gleichsam eine
Vorstufe der späteren Form der Ortsangaben zu beobachten: Bis auf eine hexa-
134 So fehlen Teile von Poggios Abschriften aus dem Codex Einsidlensis.
135 In der älteren Literatur wie CIL VI, S. XXVIIIa oder Walser, Poggius Florentinus 145, Anm. 3, wird
die Handschrift als Cod(ex) Angel(icanus) D 4,18 geführt.
136 Vgl. beispielhaft die Abbildung von fol. 33r bei Ott, Gelehrte Topographie 151.
137 Ott, Entdeckung des Altertums 131–181. Vgl. auch knapper ders., Gelehrte Topographie 152–153.
138 Ott, Entdeckung des Altertums 151–152.
139 An dieser Stelle sei Sonja Reisner (Universität Wien) neuerlich für ihre fachliche Meinung gedankt.
140 Erstaunlicherweise führt auch das CIL VI, S. XVI–XXVII, bei der Publikation der Sammlung
durchgehend die unrichtige Form „lictere“. Möglicherweise wurde Ott dadurch irregeführt.
Der sogenannte Antiquus Austriacus und weitere auctores antiquissimi
Zur ältesten Überlieferung römerzeitlicher Inschriften im österreichischen Raum
- Titel
- Der sogenannte Antiquus Austriacus und weitere auctores antiquissimi
- Untertitel
- Zur ältesten Überlieferung römerzeitlicher Inschriften im österreichischen Raum
- Autor
- Doris Marth
- Verlag
- Holzhausen Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-902976-43-7
- Abmessungen
- 21.4 x 30.2 cm
- Seiten
- 572
- Schlagwörter
- Antiquus Austriacus, Austria, Epigraphy, Humanism, Inscriptions, Manuscript Tradition, Roman Period, Antiquus Austriacus, Epigraphik, Humanismus, Inschriften, Österreich, Römerzeit, Überlieferung
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1 Zur historischen Entwicklung der Überlieferung lateinischer, insbesondere norischer Inschriften von den Anfängen bis zum Ende des 14. Jahrhunderts 19
- 1.1 Anfänge und Vorstufen der Überlieferung lateinischer Inschriften 19
- 1.2 Anfänge und Vorstufen der Überlieferung norischer Inschriften 23
- 1.3 Berchtold von Kremsmünster und die älteste Abschrift einer norischen Inschrift 26
- 1.4 Die Inschrift CIL III 5630 im Codex membraneus LIV des Stiftes Lambach 36
- 2 Neue Impulse aus Italien: Humanismus und Renaissance als „Geburtsphase“ der lateinischen Epigraphik 40
- 3 Die Ausbreitung und Etablierung humanistischen Gedankengutes im Ostalpenraum aus epigraphischer Sicht 56
- 4 Augustinus Prygl Tyfernus und die norischen Inschriften 99
- 5 Der sogenannte Antiquus Austriacus: Mommsens Pseudonym für den Verfasser der ältesten Sammlung norischer Inschriften 139
- 6 Die Wiener Handschrift CVP 3255* 147
- 7 Der Codex Pragensis XIII G 14 der Národní Knihovna, Prag 162
- 7.1 Das Verhältnis zwischen CP XIII G 14 und CVP 3255*: Eine Inschriftensammlung und ihr Register 170
- 7.2 Folgen aus dem Zusammenhang CVP 3255* – CP XIII G 14 174
- 7.3 Johannes Fuchsmagen und der CP XIII G 14 182
- 7.4 Zur Frage nach den Quellen für den CP XIII G 14 198
- 7.5 Codex Pragensis XIII G 14: Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse und Gesamtbetrachtung 221
- 8 Konrad Peutinger und die norischen Inschriften 228
- 8.1 Peutingers handschriftliche Inschriftensammlungen 230
- 8.2 Johannes Fuchsmagen als Peutingers Gewährsmann 244
- 8.3 Die „Antiquus-Austriacus-Inschriften“ und die Inschriften von Augustinus Prygl Tyfernus in Peutingers 2° Cod. H 24 246
- 8.4 Zusammenfassung: Der Wert von Peutingers Handschriften für die Überlieferung norischer Inschriften 264
- 9 Johannes Choler und seine Inschriftensammlung 265
- 10 Die „Inscriptiones Sacrosanctae Vetustatis“ von Petrus Apianus und Bartholomaeus Amantius 295
- 10.1 Zur Intention und Gliederung des Werkes sowie zur Nennung seiner Quellen 300
- 10.2 Johannes Choler und die Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 301
- 10.3 Die Inschriftensammlungen von Konrad Peutinger und Augustinus Prygl Tyfernus – Quelle für die Inscriptiones sacrosanctae vetustatis? 302
- 10.4 Johannes Aventinus als Quelle für die Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 304
- 10.5 Der Codex Pragensis XIII G 14 und sein Verhältnis zu den Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 305
- 10.5.1 Das Verzeichnis epigraphischer Abkürzungen im CP XIII G 14 und bei Apianus/Amantius 307
- 10.5.2 Der CP XIII G 14 als Quelle für norische (und oberpannonische) Inschriften bei Apianus/Amantius 311
- 10.5.3 Konsequenzen aus dem unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem CP XIII G 14 und den Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 330
- 10.6 Parallel verwendete Quellen und mehrfach überlieferte Inschriften bei Apianus/Amantius 337
- 10.7 Zusammenfassende Betrachtungen zur Arbeitsweise von Apianus/ Amantius und Gesamtbewertung der Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 345
- 11 Johannes Fuchsmagen und seine epigraphische Sammeltätigkeit 347
- 12 Anhang: Tabellen zur Überlieferung norischer und oberpannonischer Inschriften 376
- Einleitende Bemerkungen und Hinweise zur Benützung 376
- Tab. 12.1: Inschriften bei Paolo Santonino, Cod. Vat. Lat. 3795 379
- Tab. 12.2: Inschriften, die von Augustinus Tyfernus und vom sogenannten Antiquus Austriacus überliefert werden 380
- Tab. 12.3: Im CVP 3255* und CP XIII G 14 enthaltene Inschriften 386
- Tab. 12.4: Inschriften in den Codices von Augustinus Tyfernus im Vergleich mit dem CP XIII G 14 395
- Tab. 12.5: Inschriften-Erstbelege bei „Antiquus Austriacus“, Augustinus Tyfernus und im CP XIII G 14 415
- Tab. 12.6: Inschriften im 4° Cod. H 26 der SuStBA („Picturae“) im Vergleich mit dem CP XIII G 14 425
- Tab. 12.7: Inschriften in Peutingers 2° Cod. H 23 im Vergleich mit dem CP XIII G 14 427
- Tab. 12.8: Inschriften in Peutingers 2° Cod. H 24 im Vergleich mit dem CP XIII G 14 428
- Tab. 12.9: Inschriften in Cholers CLM 394 im Vergleich mit Peutingers 2° Cod. H 24 und CP XIII G 14 437
- Tab. 12.10: Inschriften bei Apianus/Amantius im Vergleich mit Augustinus Tyfernus und Peutingers 2° Cod. H 24 443
- Tab. 12.11: Inschriften bei Apianus/Amantius im Vergleich mit dem CP XIII G 14 475
- Tab. 12.12: „Antiquus-Austriacus-Inschriften“ bei Peutinger, Choler, CP XIII G 14/Fuchsmagen und Apianus/Amantius 490
- Abkürzungs- und Siglenverzeichnis 503
- Quellen- und Literaturverzeichnis 508
- Abbildungsnachweis 539
- Indices 542
- Inschriftenindex 542
- Orts- und Personenindex 548