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Humanistisches Gedankengut im Ostalpenraum | 63
einige Merkmale auf, die Zweifel an Santoninos Autorschaft aufkommen lassen228.
Reine Schreibfehler ließen sich gewiss auch dadurch erklären, dass Santonino beim
Abschreiben seines Textes kurzfristig gestört wurde.229 Doch werfen wir einen
kurzen Blick auf die Form der Berichterstattung:
Das itinerarium ist überwiegend in der ersten Person Plural abgefasst, da der visitie-
rende Bischof und Santonino in Begleitung einer größeren Personengruppe samt
ortskundigem Führer unterwegs waren230. Der Berichterstatter ist spürbar um Objek-
tivität bemüht und spricht daher von sich selbst in der Regel von „Sanctoninus“.231
Mitunter nennt er sich auch „Paulus“232, und zwar im Zusammenhang mit der Er-
wähnung einer schönen, verheirateten Dame namens Omelia, die ihn offenbar so
sehr beeindruckt hat, dass er sich sogar zu einer ganz persönlichen Randbemerkung
im Codex hinreißen ließ: „Sensi hic aliam legem immutatam in membris meis legi dei re-
pugnantem.“233 Auch an einigen anderen Stellen fällt Santonino bei seiner Erzählung
in die erste Person Singular.234 Die Annahme, dass der Autor selbst bei einer eigen-
händigen Abschrift diese Textstellen korrigiert hätte, während sie ein Mitarbeiter un-
verändert übernahm, scheint mir nicht ganz unangebracht zu sein. Dennoch darf im
Fall des Cod. Vat. Lat. 3795 weiterhin von einem „Original“ gesprochen werden.235
Santonino selbst betitelt sein Werk als „itinerarium“236, an einigen Stellen auch als
„historia“237. Damit unterstreicht er zweifellos seinen Anspruch auf eine integere
Berichterstattung, was ihm auch sehr gut gelungen ist und ihn als glaubwürdige
(kirchen- und kultur-)historische Quelle auszeichnet: Er bedient sich stets einer sorg-
fältigen, korrekten Ausdrucksweise, bemüht sich um freundlich-kritische Urteile,
überprüft mündliche Berichte von Einheimischen und gibt sie nur wieder, wenn sie
ihm plausibel erscheinen.238 Darüber hinaus betont er wiederholt, er habe das, was er
berichte, mit eigenen Augen gesehen oder zumindest selbst in alten Aufzeichnungen
gelesen: „De his antiquissimas vidi scripturas, quibus plena fides est adhibenda, ne me
fabulas aut somnia scripsisse putes.“239 Die Tatsache, dass sich Santonino in dieser
Äußerung an einen fiktiven Leser wendet, dokumentiert ferner, dass er seinen Reise-
228 Mercati, Vìsita a Cilli 268–269, Anm. 5, warf bereits 1937 die Frage nach der Autorschaft auf, wollte
die Klärung aber der Untersuchung von Giuseppe Vale überlassen.
229 Z. B. wurde im Codex auf fol. 133v (Z. 10) „dotis“ aus der vorhergehenden Zeile irrtümlich wieder-
holt und durch „intravimus“ superlinear korrigiert.
230 Siehe Hundsbichler, Realien bei Santonino 57–58.
231 Z. B. fol. 53r, 59r, 81v,110v oder 111r (vgl. Vale, Santonino 168, 175, 206 und 237).
232 Etwa fol. 113v bzw. Vale, Santonino 238.
233 Fol. 111r bzw. Vale, Santonino 237. Es handelt sich hier um ein Zitat aus dem Römerbrief von
Paulus (Römer 7,23).
234 Z. B. fol. 77v („equitavi“), fol. 78r („memini“), fol. 80r („coactus sum“); vgl. Vale, Santonino 201, 202
und 205.
235 Vgl. Mazal, Handschriftenbearbeitung 144: „Original: Exemplar einer Handschrift aus der Feder des
Autors oder seines Sekretärs“.
236 Cod. Vat. Lat. 3795, fol. 1r , 58r und 98v (Vale, Santonino 121, 173 und 223; jeweils in der Überschrift
zu den einzelnen Reisen) sowie fol. 54r und 109r (Vale, Santonino 168 und 235).
237 Cod. Vat. Lat. 3795, fol. 63v und 78r (Vale, Santonino 185 und 202).
238 Vgl. Cod. Vat. Lat. 3795, fol. 1v bzw. Vale, Santonino 124.
239 Cod. Vat. Lat. 3795, fol. 79v bzw. Vale, Santonino 204.
Der sogenannte Antiquus Austriacus und weitere auctores antiquissimi
Zur ältesten Überlieferung römerzeitlicher Inschriften im österreichischen Raum
- Titel
- Der sogenannte Antiquus Austriacus und weitere auctores antiquissimi
- Untertitel
- Zur ältesten Überlieferung römerzeitlicher Inschriften im österreichischen Raum
- Autor
- Doris Marth
- Verlag
- Holzhausen Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-902976-43-7
- Abmessungen
- 21.4 x 30.2 cm
- Seiten
- 572
- Schlagwörter
- Antiquus Austriacus, Austria, Epigraphy, Humanism, Inscriptions, Manuscript Tradition, Roman Period, Antiquus Austriacus, Epigraphik, Humanismus, Inschriften, Österreich, Römerzeit, Überlieferung
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1 Zur historischen Entwicklung der Überlieferung lateinischer, insbesondere norischer Inschriften von den Anfängen bis zum Ende des 14. Jahrhunderts 19
- 1.1 Anfänge und Vorstufen der Überlieferung lateinischer Inschriften 19
- 1.2 Anfänge und Vorstufen der Überlieferung norischer Inschriften 23
- 1.3 Berchtold von Kremsmünster und die älteste Abschrift einer norischen Inschrift 26
- 1.4 Die Inschrift CIL III 5630 im Codex membraneus LIV des Stiftes Lambach 36
- 2 Neue Impulse aus Italien: Humanismus und Renaissance als „Geburtsphase“ der lateinischen Epigraphik 40
- 3 Die Ausbreitung und Etablierung humanistischen Gedankengutes im Ostalpenraum aus epigraphischer Sicht 56
- 4 Augustinus Prygl Tyfernus und die norischen Inschriften 99
- 5 Der sogenannte Antiquus Austriacus: Mommsens Pseudonym für den Verfasser der ältesten Sammlung norischer Inschriften 139
- 6 Die Wiener Handschrift CVP 3255* 147
- 7 Der Codex Pragensis XIII G 14 der Národní Knihovna, Prag 162
- 7.1 Das Verhältnis zwischen CP XIII G 14 und CVP 3255*: Eine Inschriftensammlung und ihr Register 170
- 7.2 Folgen aus dem Zusammenhang CVP 3255* – CP XIII G 14 174
- 7.3 Johannes Fuchsmagen und der CP XIII G 14 182
- 7.4 Zur Frage nach den Quellen für den CP XIII G 14 198
- 7.5 Codex Pragensis XIII G 14: Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse und Gesamtbetrachtung 221
- 8 Konrad Peutinger und die norischen Inschriften 228
- 8.1 Peutingers handschriftliche Inschriftensammlungen 230
- 8.2 Johannes Fuchsmagen als Peutingers Gewährsmann 244
- 8.3 Die „Antiquus-Austriacus-Inschriften“ und die Inschriften von Augustinus Prygl Tyfernus in Peutingers 2° Cod. H 24 246
- 8.4 Zusammenfassung: Der Wert von Peutingers Handschriften für die Überlieferung norischer Inschriften 264
- 9 Johannes Choler und seine Inschriftensammlung 265
- 10 Die „Inscriptiones Sacrosanctae Vetustatis“ von Petrus Apianus und Bartholomaeus Amantius 295
- 10.1 Zur Intention und Gliederung des Werkes sowie zur Nennung seiner Quellen 300
- 10.2 Johannes Choler und die Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 301
- 10.3 Die Inschriftensammlungen von Konrad Peutinger und Augustinus Prygl Tyfernus – Quelle für die Inscriptiones sacrosanctae vetustatis? 302
- 10.4 Johannes Aventinus als Quelle für die Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 304
- 10.5 Der Codex Pragensis XIII G 14 und sein Verhältnis zu den Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 305
- 10.5.1 Das Verzeichnis epigraphischer Abkürzungen im CP XIII G 14 und bei Apianus/Amantius 307
- 10.5.2 Der CP XIII G 14 als Quelle für norische (und oberpannonische) Inschriften bei Apianus/Amantius 311
- 10.5.3 Konsequenzen aus dem unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem CP XIII G 14 und den Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 330
- 10.6 Parallel verwendete Quellen und mehrfach überlieferte Inschriften bei Apianus/Amantius 337
- 10.7 Zusammenfassende Betrachtungen zur Arbeitsweise von Apianus/ Amantius und Gesamtbewertung der Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 345
- 11 Johannes Fuchsmagen und seine epigraphische Sammeltätigkeit 347
- 12 Anhang: Tabellen zur Überlieferung norischer und oberpannonischer Inschriften 376
- Einleitende Bemerkungen und Hinweise zur Benützung 376
- Tab. 12.1: Inschriften bei Paolo Santonino, Cod. Vat. Lat. 3795 379
- Tab. 12.2: Inschriften, die von Augustinus Tyfernus und vom sogenannten Antiquus Austriacus überliefert werden 380
- Tab. 12.3: Im CVP 3255* und CP XIII G 14 enthaltene Inschriften 386
- Tab. 12.4: Inschriften in den Codices von Augustinus Tyfernus im Vergleich mit dem CP XIII G 14 395
- Tab. 12.5: Inschriften-Erstbelege bei „Antiquus Austriacus“, Augustinus Tyfernus und im CP XIII G 14 415
- Tab. 12.6: Inschriften im 4° Cod. H 26 der SuStBA („Picturae“) im Vergleich mit dem CP XIII G 14 425
- Tab. 12.7: Inschriften in Peutingers 2° Cod. H 23 im Vergleich mit dem CP XIII G 14 427
- Tab. 12.8: Inschriften in Peutingers 2° Cod. H 24 im Vergleich mit dem CP XIII G 14 428
- Tab. 12.9: Inschriften in Cholers CLM 394 im Vergleich mit Peutingers 2° Cod. H 24 und CP XIII G 14 437
- Tab. 12.10: Inschriften bei Apianus/Amantius im Vergleich mit Augustinus Tyfernus und Peutingers 2° Cod. H 24 443
- Tab. 12.11: Inschriften bei Apianus/Amantius im Vergleich mit dem CP XIII G 14 475
- Tab. 12.12: „Antiquus-Austriacus-Inschriften“ bei Peutinger, Choler, CP XIII G 14/Fuchsmagen und Apianus/Amantius 490
- Abkürzungs- und Siglenverzeichnis 503
- Quellen- und Literaturverzeichnis 508
- Abbildungsnachweis 539
- Indices 542
- Inschriftenindex 542
- Orts- und Personenindex 548