Seite - 76 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

76 Februar 1872 5 10 15 20 25 30 35 Veit“, in: Prager Zeitung (1864), Nrn.  48–50, 25., 26.  und 27.  Februar. ◼ 280f. Jean Becker] (1833–1884), dt. Violinist und Begründer des Florentiner Quartetts (mit Enrico Masi, Luigi Chiostri und Friedrich Hilpert). ◼ 282 Fesca’s] Friedrich Ernst Fesca (1789–1826), dt. Kompo- nist und Violinist. ◼ 283 ultima Thule] lat. „letztes Land“, der äußerste Nordrand der Erde. 15. WA 1872, Nr. 46, 26. Februar Feuilleton. Musik. Sechstes philharmonisches Concert. Zwei bekannte Werke, zwei Novitäten: die „Coriolan“-Ouverture, Schumanns Ouverture, Scherzo und Finale, die neue Symphonie eines jungen Componisten Robert Fuchs und ein Allegretto von W.  Remy. Ich habe es immer bewundert, wie Beethoven zu einer Zeit, wo die David und Füger ihre Römerbilder voll falschen Pathos und voll falscher Classicität malten, dieses Stück echter Römermusik schrei- ben konnte, diese „Coriolan“-Ouverture, die wie eine Flamme auflodert, brennt und zuletzt verflackert und erlischt. Ursprünglich war sie, wie bekannt, als musika- lische Einleitung zu Collins „Coriolan“ bestimmt – ich möchte aber darnach, offen gesagt, weder Herrn v. Collins Tragödie, noch auch Shakspeare’s „Coriolanus“ mit seinem englisirten Senatus populusque romanus hören; will ich einen Nachhall die- ser Musik, so nehme ich den Livius und lese seine kurze, markige, geistvolle Erzäh- lung bis zu den Worten: multo miserius seni esse exilium. Die Aufführung unter Herrn Dessoffs Leitung war eine so vollendete Leistung, daß das begeisterte Publi- cum mit seinem Beifalle nicht eher ruhte, bis das ganze Orchester in corpore auf- stand und sich dankend verneigte; es ist der erste ähnliche Fall, dessen ich mich in meiner langen Praxis erinnere. – Schumanns Stück ist ein merkwürdiger und an- ziehender Versuch, der Symphonieform eine neue, modificirende Gestaltung zu geben. Die Composition enthält sehr reizende Momente, doch steht sie gegen die eigentlichen Symphoniewerke des Meisters wohl etwas zurück und man wird den Eindruck des bloß äußerlichen Zusammenfügens heterogener Elemente nicht ganz los, – die Sache ist recht lehrreich, weil sie durch den Gegensatz anschaulich macht, wie organisch und wohlberechtigt die herkömmliche Symphonieform ist. Die neue Symphonie von Rob. Fuchs ist das Werk eines glücklichen und frisch aufstrebenden Talentes, – ihre Vorzüge und Fehler sind Vorzüge und Fehler der Jugend. Ein junger Componist möchte in so einem Werke gerne Alles sagen, was er auf dem Herzen hat (und er hat viel auf dem Herzen) und da geschieht es denn leicht, daß er uns statt eines Ganzen fünf Viertel bringt. Dem Werthe nach ist der Menuet nebst Trio das Gelungenste, am mindesten wollte das Finale zusagen. Das erste Stück, dessen Thema so keck aufblitzt, enthält eine große Menge sehr schöner Züge, sehr glücklicher Momente – ermangelt aber in seinem unruhigen Häufen von Effecten noch jener Ruhe und jenes Maßes, wie es allerdings erst Erfahrung und gereifte Meisterschaft bringen kann. Wenn so ein junger Tonsetzer ein Thema