Seite - 241 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

241 September 1872 5 10 15 20 25 30 Erläuterungen 1 Betz] Franz Betz (1835–1900), dt. Bariton; 1859–1897 an der Berliner Hofoper, 1871–1873 Gast- spiele an der Wr. Hofoper. ◼ 7 Niemann] Albert Niemann (1831–1917), dt. Tenor, gefeierter Wagner-Interpret; 1866–1888 an der Berliner Hofoper, 1868–1886 Gastspiele an der Wr. Hof- oper. ◼ 10 Wolfgang von Eschenbach] recte: Wolfram von Eschenbach. ◼ 12 Lord Ruthven] Figur in Marschners Der Vampyr. 57. WA 1872, Nr. 203, 4. September ά–ς (K. k. Hofoperntheater.) Der „Postillon von Lonjumeau“ war die erste Oper, mit welcher sich Adolf Adam in Deutschland einbürgerte, und so ziemlich auch die einzige, denn weder „Der treue Schäfer“, noch „Der Brauer von Preston“, noch „Die neue Psyche“, obschon an musikalischem Verdienste dem „Postillon“ keineswegs nachstehend, haben sich zu behaupten vermocht (zu geschweigen der ge ringeren Opern), während der „Postillon“ noch jetzt, nach 36 Jahren – die Oper war 1836 eine Novität – mit Vergnügen gehört wird. Das ist nicht bloß das Ver- dienst der anziehenden und geistreich erfundenen Handlung, in der es, wie im „treuen Schäfer“, wenn nicht eben moralisch musterhaft, so doch lustig und leben- dig zugeht, sondern es trägt auch der Umstand zu dem dauernden Erfolge bei, daß für den Helden und die Heldin der Oper durch eine brillante Rolle oder Doppel- rolle gesorgt ist, denn die Partie des Postillons und seiner Braut ist ein wahres „Vielliebchen“ mit zwei Kernen, der Postillon Chapelou wird im Verlaufe des Stü- ckes zum königlichen Sänger St.  Phar, das Landmädchen Madelaine zur Welt- dame Frau v. Latour und es ist eine nicht leichte, aber lohnende Aufgabe, für diese Doppelgestalten bei aller Schärfe der Charakteristik den einigenden Grundton zu finden. Adams Musik bildet den Uebergang oder Rückgang von der Art Aubers mit ihrer pikanten Melodik, gewürzten Harmonik, tänzelnden Rhythmik und prikelnden Orchestrirung zu der solideren und dabei echt französisch feinen, man könnte sagen urbanen, liebenswürdigen Weise der Meister Mehul, Boieldieu u. s. w. Wenn C. [sic] M. Oettinger, Aubers exaltirter Bewunderer, diesen mit schäumendem Champagner verglich, so könnte man, das Gleichniß fortsetzend, jene anderen älteren Componisten mit dem schwereren, dunkelrothen Burgunder vergleichen, und dann ist Adams Musik offenbar jene Mischung, welche manche Tischgäste lieben, welche sofort, wenn ihnen bei Tafel ein Glas Champagner ein- geschenkt wird, soliden Rothwein hineingießen. Die Partitur des „Postillon“ ent- hält ganz reizende Sachen, – über die schalkhafte Art, wie an einer Stelle des ersten Finales die feierliche Fugenform angewendet und parodirt wird, müßte selbst Sebastian Bach herzlich lachen, das Trio „pendu, pendu“ darf als Muster komischer Musik gelten. Die Scala-Arie des Marquis ist sogar ein förmliches musikalisches Kunststück. Genug, wir heißen den „Postillon“ auf dem Repertoire bestens will- kommen, besonders wenn ihn wie diesmal der „Postillon“ par excellence Herr Wachtel singt. Diese Leistung des Sängers hat den größten Ruf – sein „hohes C“ ist sprüchwörtlich geworden. Das Publicum will solche Wahrzeichen haben, über