Seite - 254 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

254 September 1872 5 10 15 20 25 30 Erläuterungen 5 Röder] Mila Röder (1849?–1888), Sopran; Studium in Paris, als Operettensängerin u. a. am Berliner Wallner-Theater sowie am Wr. Carltheater. ◼ 7 Dichter] Richard Genée nach Charles Nuitter, Étienne Tréfeu und Jacques Offenbach. ◼ 11f. Wir kommen auf die Novität zurück] → Nr.  64. 64. WA 1872, Nr. 219, 23. September Z. 4–79, 95–107, 109–179 aufgenommen in: „Musikalische Wasserpest.“, Bunte Blätter  II, S.  35–42 Feuilleton. „Der schwarze Corsar“ (le corsaire noir), Operette in drei Acten von Jacques Offenbach. Offenbachs neueste Arbeit, sein „schwarzer Corsar“ (corsaire noir), eine Oper oder Operette, die er – welche Ehre für uns! – früher in Wien als in Paris zur Auffüh- rung brachte, kann sich nicht beklagen, es sei etwa zu wenig geschehen, um für sie im voraus unsere Aufmerksamkeit zu wecken und zu spannen. Angekündigt und wegen mannigfacher Hindernisse vorläufig bei Seite gelegt wurde sie schon in der vorigen Saison; wir hatten folglich den ganzen Sommer hindurch Zeit, mit still hoffenden Herzen den Moment zu erharren, welcher die Verheißung zur Wahrheit machen sollte. Schon damals verlautete es, bei der Ausstattung sei in Tricots das Unerhörte geleistet – wir ahnten damals noch gar nicht, daß diese Tricots nebst darin steckenden Figurantinnen obendrein in der Verklärung der berühmten Pro- phetensonne, in dem blendenden Glanze des aus den Soffiten wie aus einem besse- ren Jenseits herunterstrahlenden elektromagnetischen Lichtes vor uns aufziehen werden. Und als endlich der ersehnte Moment herankam, da beeilte sich das Ge- rücht zu erzählen: es seien Reporter (man sprach von zwölf solchen Sendboten) eigens aus Paris nach Wien zur ersten Aufführung gekommen. Für Paris ist es nach den entsetzlichen Bedrängnissen und unersetzlichen Verlusten, welche es erlitten hat, wie begreiflich, ein großer Trost, möglichst schnell zu erfahren, daß Offen- bach abermals einen großen Sieg erfochten, der zwar nicht, wie ehemals, mit vier- undzwanzig blasenden Postillonen, wohl aber mit zwölf Reportern verkündigt wird. Dank der Erfindung des Telegraphen und den ausgesendeten „Zwölfboten“ sind die Pariser über die Lebensfrage, ob der „Corsaire“ in Wien gefallen habe, in diesem Augenblicke schon beruhigt. Wir haben uns längst entwöhnt, in den Operettenbüchern Offenbachs zu suchen, was man im gewöhnlichen Leben Sinn und Verstand nennt. Aber wir waren doch gewöhnt, in diesen Tollheiten guten Humor, zuweilen selbst Geist und Witz anzutreffen. Der blanke Spaß, die Posse, die weiter nichts ist als Posse, haben im Leben eben auch zur rechten Zeit und an rechter Stelle ihre Berechtigung und es wäre Unrecht dergleichen, statt vom Her- zen zu lachen, mit einem Cato-Gesicht entgegennehmen zu wollen. Der Narr, auch wenn er nicht auf dem Niveau seiner Collegen im Shakspeare steht, der Spaß- macher, der uns durch einen gelungenen Scherz, durch ein burleskes Wortspiel