Seite - 191 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

191 Mai 1872 5 10 15 20 25 30 frz. Dramatiker und Librettist. ◼ 99–102 Meint doch Goethe, … je auf die Bühne gebracht“.] Freizitat aus: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, in: Goethe, MA, Bd.  16, S.  310. ◼ 121f. Manzoni … Roman nur als l’innominato] „Der Namenlose“ ist die durch Francesco Bernardino Visconti (1579–1647) inspirierte Figur im Roman I promessi sposi. Storia Milanese del secolo XVII (Die Brautleute) von Alessandro Manzoni (1785–1873). 46. WZ 1872, Nr. 120, 28. Mai Mit leichten Änderungen wiederabgedruckt in: „Schubertiana.“, Bunte Blätter  II, S.  182–191 Feuilleton. Wiener musikalische Revue. Von A. W. Ambros. (Schluß. [von Nr. 43]) Die Phantasie Schuberts, die es, wie Jean Paul sagen würde, vor lauter Strömungen nicht zu Tropfen brachte, zerriß ihm in den großen Instrumentalstücken den einengenden, begrenzenden Damm; ein reicher Erguß folgt dem andern, die Stü- cke fluten oft zu unmäßiger Breite aus einander. Diese Fülle, wo es aller Ecken und Enden sproßt und treibt und grünt und blüht, könnte einen poetisch gesinnten, auf Gleichnisse erpichten Touristen vielleicht an jenen Park des Fürsten Chigi bei Aricia erinnern, welchem nach einer Verfügung des Besitzers zum Besten der stu- direnden Landschaftsmaler keine Gärtnerschere, keine rodende Axt sich nähern darf. In ungebändigter Naturkraft wuchert hier das Grün, vielverschlungene Schlingpflanzen spinnen die gewaltigen Baumstämme ein, in undurchdringlichem Dickicht liegen gestürzte Bäume, daneben eine Blumenwildniß – es ist für pro- menirende Damen gar nicht praktisch, aber wir würden dafür nicht den best- geschorenen Park nehmen, wo jede Blume nur mit Einwilligung des Herrn Ober- gärtners aufblühen darf und nur nicht gar jeder hereinflatternde Schmetterling um den Reisepaß befragt wird. Will man dieses Gleichniß mit der nöthigen Einschränkung (denn Schuberts Symphonien, Quartette und Sonaten sind nichts weniger als uncultivirter Natur- wuchs) auf die Instrumentalwerke Schuberts anwenden, so haben wir nichts da- gegen. Anders und ganz wunderbar anders ist es bei den Vocalsachen, den Liedern. Hier wirkt der Worttext bändigend, begrenzend, formend auf die Musik ein. Die Geister des poetischen Rhythmus reichen den Geistern des musikalischen Rhyth- mus die Hand, die Architektonik des Versbaues wird zur Architektonik des Ton- gebildes. Man muß hier Schubert bewundern, wie er feinsinnig die einander ana- logen Stellen im Gedichte herausfindet oder sagen wir vielmehr: herausfühlt, um seiner Musik durch analog wiederkehrende Motive eben jene Architektonik der Verhältnisse, der gegen einander gestellten, je nachdem auch wohl unter einander contrastirenden Massen zu geben, ohne welche die Musik immer doch mehr oder minder wie ein Hauswerk willkürlicher Einfälle aussehen würde. Der allbekannte „Erlkönig“, der „Lindenbaum“, die „Erstarrung“ (in der „Winterreise“) und anderes