Seite - 348 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

348 Dezember 1872 5 10 15 20 25 30 35 ein Heide bückt.“) Alexander Pope, The Rape of the Lock (Der Lockenraub) 2,7f. ◼ 81 Brioschi.] Carlo Brioschi (1826–1895), Theatermaler; seit 1854 an der Wr. Hofoper. 90. WZ 1872, Nr. 291, 19. Dezember Feuilleton. Musikalische Revue. (Drittes philharmonisches Concert. Die Quartettsoiréen Becker und Hellmesberger. Hofoperntheater.) Von A. W. Ambros. Ich habe es immer für einen sehr guten Einfall der Mutter Erde angesehen, für uns andere Nordländer quer vor das herrliche Italien mit der classischen Form seiner Gebirgszüge, seiner blühenden Erde und seinem blauen Himmel die gewaltige Alpenwelt mit ihren schroff in die Wolken ragenden Berghörnern, ihren Fels- wänden und Gletschern und ihren heimlichen grünenden Thalwinkeln zu schie- ben. Goethe hat, wie es scheint, auch so etwas empfunden und in den drei unsterb- lichen Strophen seines Mignonliedes den Gedanken dichterisch veredelt; nur daß das Lied „rückläufig“, wie ein Astronom, oder, wie ein Contrapunktist sagen würde, „cancrizans“ ist – es fängt mit den blühenden Citronen an und schließt mit dem Maulthier, das im Nebel seinen Weg auf dem Wolkenpfade des Berges sucht. Gerade der Gegensatz der Länder erhöht den Genuß des Wanderers. Die Schweiz wäre ohne ihr Nachbarland Italien nur halb so schön, als sie ist, und das- selbe gilt umgekehrt von Italien. Als ich nun jüngst im Programme der Philharmo- niker die italienische Symphonie von Mendelssohn las und als vorhergehende Nummer Wagners „Faust“-Ouverture, schüttelte ich den Kopf – es schien mir für beide Stücke gefährlich, sie also in nächste Nachbarschaft zu rücken. Als ich aber diese Werke hörte, kam es gerade umgekehrt – eines gewann durch das andere. Beide Compositionen wurden aber auch in einer Vollendung aufgeführt, wel- che jeden Hörer hinreißen mußte. Und gerade für diese beiden Compositionen ist eine gute und beste Aufführung von sehr großer Wichtigkeit. Ich denke noch heu- te mit Schrecken an die Art, wie ich einstens irgendwo die „Faust“-Ouverture und zwar als Novität zu hören bekam, – als das Orchester schon thatsächlich zu spielen angefangen, konnte man in gerechtem Zweifel bleiben, ob die Herren nicht viel- leicht noch „stimmen“ – die rasche Staccato-Stelle der Bläser klang wie das welthis- torische Geschnatter, durch welches weiland das Capitol gerettet worden – und so weiter. Ich ging damals mit tiefer Abneigung gegen das Werk aus dem Saale. – Als ich später die Composition Schwarz auf Weiß sah und unter Wagners eigener Lei- tung in guter Aufführung hörte, bat ich ihr das schwere Unrecht von Herzen ab, das ich ihr angethan. Ja, ich darf sagen, daß ich nun über die mächtigen Züge, welche mir hier entgegentraten, erstaunte. Die Aufführung bei den Philharmonikern hat den günstigen Eindruck nur steigern können. Von all’ den vielen „Faust“-Ouverturen ist diese am Ende viel-