Seite - 374 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

374 Jänner 1873 5 10 15 20 25 30 35 40 95. WA 1873, Nr. 16, 21. Jänner Feuilleton. Musikalische Revue. Von A. W. Ambros. Es war ein schöner, ein sehr schöner Musikabend, den uns die Herren Door, Popper und Walter mit ihrer ersten Trio-Soirée bereitet haben. Beethovens Trio in D (op.  70) machte den Anfang. Um des zweiten Satzes willen cursirt es unter dem Namen des „Geistertrios“. Vielleicht daß ein Geisterseher die Benennung auf- gebracht, der es wissen muß – viel eigenen Geist hat er dabei nicht bewiesen. Geistertrio, Jupiter-Symphonie, Harfenquartett, Mondscheinsonate – lauter un- passende Namen, welche sich großen Kunstwerken wie unausrottbare Theerflecke angehängt und welche, so harmlos sie scheinen, gar nicht genug zu schelten sind, da sie ganz falsche Ausblicke geben und die wahre Ansicht verrücken. Dieses soge- nannte Geisterlargo ist wiederum nicht mehr und nicht weniger als ein Stück aus dem Seelenleben Beethovens, aber ein Nachtstück. Vielleicht hat Beethoven dabei an die Worte gedacht, welche er selbst so wunderbar componirte („Die Hoffnung“ op.  94) vom „Trauernden, der von der Mitternacht umschauert sich auf versunk’ne Urnen stützt“ – und wenn Jean Paul einmal im „Hesperus“ erwähnt, er werde jezuweilen „von den Vampyren mitternächtlicher Melancholie angefallen“, so ist der Flügelschlag besagter Vampyre in jenem Satze Beethovens deutlich genug zu spüren. Sinken nicht in dem letzten chromatischen Laufe des Pianoforte die in der Seele des Dichters aufgestiegenen schwarzen Phantome in ihre Nacht zurück? Und bringt nicht das Finale Trost, Stärkung, neues Leben? Wir haben die herrliche Composition kaum noch in solcher Vollendung gehört, wie die drei Künstler sie uns diesmal entgegenbrachten, besonders war eben jenes Largo mächtig ergrei- fend. Ein Adagio von Boccherini ist ein Satz, der wie Milch und Honig fließt, aller entzückende Wohllaut der „schönen Periode italienischer Musik“ lebt darin und entzückend spielte es Herr Popper. Die Violinsonate von Rust (1739 bis 1796), eine Composition voll Mark und Nachdruck und lebendig machenden Bach’schen Geistes voll, machte, gespielt von Herrn Joseph Walter (k.  bairischen ersten Con- certmeister aus München), förmlich Sensation. Walter ist kein geigenspielender Süßholzraspler, er ist ein Künstler, dessen Feuer und dessen geistreicher Vortrag die Hörer unwillkürlich hinreißen muß. Nicht leicht hat uns ein Künstler beim ersten Begegnen einen gleich großen Eindruck gemacht. Die Geige sprüht ordentlich Feuer und Flammen unter seinen Händen und plötzlich wieder wird sie zur Sängerin und bezaubert uns mit süßen Tönen. Ein Trio von Raff (op.  158) schloß den Abend. Wenn eine Composition von Raff gut ist, so ist sie ungewöhnlich gut – leider läßt er uns dieses Glückes nicht allzuoft theilhaft werden. Sein neues Trio ist bis auf den Schlußsatz gut und schön, der Anfang des Scherzo (der Verlauf nicht) sogar frappant schön – im Final geräth er in seine Maßlosigkeiten und musikalischen Zuchtlosigkeiten hinein und ver-