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tigen Bestimmung. Es wäre auch fragwürdig, wenn sich die Religionspädagogik auf
einen eindeutigen Begriff von Religion festlegen würde, da es Aufgabe der Religions-
pädagogik ist, die Frage, was als Religion gilt und welche Anerkennung ihr zukommt,
in Kirche, Gesellschaft und bei den einzelnen Menschen aufrecht zu erhalten.88
Tillich bezeichnet Religion einerseits im weiteren Sinn als Leben in der Dimension
der Tiefe, als „Ergriffensein von etwas, das uns unbedingt angeht“89 und betont, dass
der Mensch „unmittelbar eines Unbedingten gewahr“90 ist, andererseits im engeren
Sinn als „eine bestimmte Ausformung dessen, was uns unbedingt angeht“, was in
„allen Formen der menschlichen Kultur“ geschieht.91 Die beiden Dimensionen, die
Tillich dem Begriff Religion zuschreibt, werden in der vorliegenden Studie in zwei
Begriffe aufgeteilt. Mit Religiosität soll hier die Tiefendimension des Menschen
bezeichnet werden, der Begriff Religion bezieht sich auf Tillichs engere Bedeutung.
Religion ist ein von Grund auf soziales Phänomen.92 Religion kann – wie dies
Hans Zirker betont – nie die eines einzelnen Menschen sein, sondern ist ein soziales
Phänomen, da auch persönliche Betroffenheit und Überzeugungen in die gesellschaft-
liche Umgebung eingelassen sind. Religion „ist angewiesen auf stabile Kommuni-
kations- u[nd] Handlungsformen, äußert ihre Identität in verbindlichen Geltungen
(hl. Schriften, autoritativen Instanzen, vorgeschriebenen Riten usw.)“93 und wird in
zwischenmenschlichen Beziehungen tradiert. Unter gemeinsamen Verständigungs-
voraussetzungen werden Erfahrungen gewonnen, die mitgeteilt werden und Ableh-
nung oder Zustimmung finden.94
Im Unterschied zum Religionsbegriff hat der Religiositätsbegriff noch weniger
Aufmerksamkeit in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung gefunden.95 Ulrich
sätze zu Gesellschaft, Kultur und Religion. Herausgegeben von Rüdiger Schloz. Würz-
burg: Ergon; Schieder, Rolf (2001): Wieviel Religion verträgt Deutschland?. Frankfurt
am Main: Suhrkamp; Schreiner, Peter (2012): Religion im Kontext einer Europäisierung
von Bildung. Eine Rekonstruktion europäischer Diskurse und Entwicklungen aus protes-
tantischer Perspektive. Münster u. a.: Waxmann, 47. Das kurz dargelegte Verständnis der
Autorin zum Religionsbegriff soll die Verwendung des Begriffes in der hier vorliegenden
Studie verdeutlichen.
88 Zirker, Hans (2001): Religion, Religionskritik. In: Mette, Norbert/Rickens, Folkert (Hg.):
Lexikon der Religionspädagogik, 1677.
89 Tillich, Paul (1967): Die religiöse Substanz der Kultur. Schriften zur Theologie der Kul-
tur. Gesammelte Werke, Bd. IX. Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, 94.
90 Vgl. Tillich, Paul (1964): Die Frage nach dem Unbedingten. Schriften zur Religionsphi-
losophie. Gesammelte Werke, Bd. V. Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, 131.
91 Tillich, Paul (1967): Die religiöse Substanz der Kultur, 94f.
92 Vgl. Zirker, Hans (2001): Religion, Religionskritik. In: Mette, Norbert/Rickens, Folkert
(Hg.): Lexikon der Religionspädagogik, 1672–1677, 1677.
93 Ebd.
94 Vgl. ebd.
95 Vgl. Angel, Hans-Ferdinand (2006): Religiosität – Die Neuentdeckung eines Forschungs-
gegenstands. In: Angel, Hans-Ferdinand/Bröking-Bortfeldt, Martin/Hemel, Ulrich/
Jakobs, Monika/Kunstmann, Joachim/Pirner, Manfred L./Rothgangel, Martin: Religio-
Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Title
- Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
- Subtitle
- Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Author
- Helena Stockinger
- Publisher
- Waxmann Verlag GmbH
- Location
- Münster
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8309-8648-5
- Size
- 16.5 x 23.5 cm
- Pages
- 280
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Einleitung 11
- Teil I: Theoretische Grundlagen und Begriffsklärungen 12
- 1. Praktisch-theologische Herangehensweise 12
- 2. Ausgangslage der Forschung 14
- 3. Das Recht der Kinder auf Differenz 16
- 4. Chancen und Herausforderungen der Religionspädagogik 17
- 5. Religiöse Differenz in elementaren Bildungseinrichtungen 18
- 6. Begriffliche Klärungen 20
- Teil II: Forschungsstand 41
- 1. Forschungsergebnisse zum Umgang mit religiöser Differenz 41
- 1.1 Ausgewählte Studien mit Kindern im Grundschulalter 42
- 1.2 Empirische Studien mit Kindern in der Elementarpädagogik 46
- 1.2.1 Eva Hoffmann: Interreligiöses Lernen im Kindergarten? 46
- 1.2.2 Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger, Anke Edelbrock: Tübinger Projekte 48
- 1.2.3 David Elkind: Erforschung der Glaubensentwicklung 52
- 1.2.4 Ina ter Avest: Erfahrungen im Umgang mit dem Anderen 53
- 1.2.5 Daniel Bar-Tal: Konzept eines „Arabers“ in Israel 54
- 1.2.6 Paul Connolly et al.: Einstellung gegenüber Gruppen in Nordirland 55
- 1.3 Zusammenfassung der Forschungsergebnisse 58
- 2. Forschungsfrage 60
- 3. Anliegen der Studie 60
- 4. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse 62
- 5. Möglichkeiten und Grenzen der Kindheitsforschung 67
- Teil III: Methodologische Zugänge der Studie 81
- 1. Qualitativ-empirische Forschung 81
- 2. Ethnographischer Zugang 89
- 3. Grounded Theory 90
- 4. Thematisches Kodieren nach Uwe Flick 94
- 5. Begründung der Forschungszugänge 96
- 6. Überblick über die angewendeten Methoden 98
- Teil IV: Untersuchungsdesign und durchführung 108
- 1. Angewendete Methoden bei der Untersuchung 108
- 2. Auswahl der Kindergärten 114
- 3. Untersuchungsdurchführung 117
- 4. Reflexion der Untersuchungsdurchführung 121
- Teil V: Auswertung 124
- 1. Hinweise zur Auswertung in der vorliegenden Studie 124
- 2. Darstellung der Kindergärten 125
- 3. Kurze Fallbeschreibungen 133
- 4. Datenauswertung 149
- Teil VI: Diskussion 183
- 1. Der Kindergarten als Organisation 183
- 2. Plädoyer: Entwicklung einer Kultur der Anerkennung religiöser Differenz 194
- 3. Rückblick – Ausblick 244
- Literatur 247
- Tabellen und Abbildungsverzeichnis 276
- Anhang 277
- Abstract 279