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form, die wiederum Gegenstand erneuter Wahrnehmung werden kann.“113 Die ästheti-
sche Dimension trägt glaubendes „Handeln als bewährendes Handeln […] in sich, ist
es doch eine Versichtbarung der Praxis Gottes im Handeln der Menschen.“114
„In der ästhetischen Dimension religiöser Lernprozesse ist ein Wechselspiel zwischen
Ausdrucksakten und -formen der Lernenden und Ausdrucksformen der Tradition von
zentraler Bedeutung. Zu einer gegenseitigen Befruchtung kann es dann kommen, wenn
die Wirkung der überlieferten Ausdrucksformen in der Wahrnehmung der Lernenden
aktiviert werden kann. Hierzu werden zwei Wege unterschieden: Zum einen können
die Lernenden in eigenen Ausdrucksakten den Erfahrungs- und Frageraum unbewusst
antizipieren, aus dem heraus die Ausdrucksformen des Glaubens entstanden sind und
der zu einem vielgestaltigen Wirkungsprozess des Wahrnehmens und Ausdrückens zu
allen Zeiten beigetragen hat. Zum anderen kann durch eine geeignete Dramaturgie der
Lehr-/Lernprozesse die Wirkung von Ausdrucksformen des Glaubens so aktiviert wer-
den, dass Lernende selbständig eigene Erfahrungswelten assoziieren und in eigenen
Ausdrucksformen verarbeiten können.“115
Im phänomenologischen Ansatz, in dem die Wahrnehmung der Wirklichkeit als dem
Handeln vorausliegend gesehen wird,116 ist Wahrnehmung „bezogen auf Ausdrucks-
formen und geht dort in Handeln über, wo die Wirkung des Wahrgenommenen sich
zu manifestieren beginnt.“117 Vermittelnd zwischen handelndem und wahrnehmen-
dem Glauben ist „die Ausdrucksgestalt des Glaubens: Handelnder Glaube bildet Aus-
drucksformen und wahrnehmender Glaube bezieht sich auf Ausdrucksformen.“118
Um „Wahrnehmung nicht ausschließlich vom Lernsubjekt her zu denken, sondern
den spezifischen wahrnehmungsleitenden Charakter der Gegenstände in den Blick zu
bekommen“,119 schlägt Stefan Altmeyer drei, die Wahrnehmungsdimension ergän-
zende Schritte vor,
„die sich zu einer elementaren Bewegung zusammenschließen. Es sind dies (1) Wahr-
nehmungen, (2) Erfahrungen mit Wahrnehmungen, (3) Wirkungen und (4) Ausdruck.
Diese Bewegung von der Wahrnehmung zum Ausdruck (und zurück) ist ebenso
elementarer Bestandteil menschlicher Selbst- und Welterkenntnis und damit auch
zentrales Element von Bildungsprozessen wie sie auch für die Aneignung, Tradierung
und Praxis des (christlichen) Glaubens fundamental ist.“120
113 Ebd.
114 Ebd.
115 Ebd., 377. Im Originaltext ist dieser Abschnitt kursiv gesetzt.
116 Biehl, Peter (1998): Der phänomenologische Ansatz in der deutschen Religionspäda-
gogik. In: Heimbrock, Hans-Günter (Hg.): Religionspädagogik und Phänomenologie.
Weinheim: Deutscher Studien Verlag, 15–46, 15.
117 Altmeyer, Stefan (2006): Von der Wahrnehmung zum Ausdruck, 373.
118 Ebd.
119 Altmeyer, Stefan (2007): Welche Wahrnehmung? In: Boschki, Reinhold/Gronover, Mat-
thias: Junge Wissenschaftstheorie der Religionspädagogik, 214–237, 232.
120 Ebd., 232f.
Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Title
- Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
- Subtitle
- Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Author
- Helena Stockinger
- Publisher
- Waxmann Verlag GmbH
- Location
- Münster
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8309-8648-5
- Size
- 16.5 x 23.5 cm
- Pages
- 280
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Einleitung 11
- Teil I: Theoretische Grundlagen und Begriffsklärungen 12
- 1. Praktisch-theologische Herangehensweise 12
- 2. Ausgangslage der Forschung 14
- 3. Das Recht der Kinder auf Differenz 16
- 4. Chancen und Herausforderungen der Religionspädagogik 17
- 5. Religiöse Differenz in elementaren Bildungseinrichtungen 18
- 6. Begriffliche Klärungen 20
- Teil II: Forschungsstand 41
- 1. Forschungsergebnisse zum Umgang mit religiöser Differenz 41
- 1.1 Ausgewählte Studien mit Kindern im Grundschulalter 42
- 1.2 Empirische Studien mit Kindern in der Elementarpädagogik 46
- 1.2.1 Eva Hoffmann: Interreligiöses Lernen im Kindergarten? 46
- 1.2.2 Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger, Anke Edelbrock: Tübinger Projekte 48
- 1.2.3 David Elkind: Erforschung der Glaubensentwicklung 52
- 1.2.4 Ina ter Avest: Erfahrungen im Umgang mit dem Anderen 53
- 1.2.5 Daniel Bar-Tal: Konzept eines „Arabers“ in Israel 54
- 1.2.6 Paul Connolly et al.: Einstellung gegenüber Gruppen in Nordirland 55
- 1.3 Zusammenfassung der Forschungsergebnisse 58
- 2. Forschungsfrage 60
- 3. Anliegen der Studie 60
- 4. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse 62
- 5. Möglichkeiten und Grenzen der Kindheitsforschung 67
- Teil III: Methodologische Zugänge der Studie 81
- 1. Qualitativ-empirische Forschung 81
- 2. Ethnographischer Zugang 89
- 3. Grounded Theory 90
- 4. Thematisches Kodieren nach Uwe Flick 94
- 5. Begründung der Forschungszugänge 96
- 6. Überblick über die angewendeten Methoden 98
- Teil IV: Untersuchungsdesign und durchführung 108
- 1. Angewendete Methoden bei der Untersuchung 108
- 2. Auswahl der Kindergärten 114
- 3. Untersuchungsdurchführung 117
- 4. Reflexion der Untersuchungsdurchführung 121
- Teil V: Auswertung 124
- 1. Hinweise zur Auswertung in der vorliegenden Studie 124
- 2. Darstellung der Kindergärten 125
- 3. Kurze Fallbeschreibungen 133
- 4. Datenauswertung 149
- Teil VI: Diskussion 183
- 1. Der Kindergarten als Organisation 183
- 2. Plädoyer: Entwicklung einer Kultur der Anerkennung religiöser Differenz 194
- 3. Rückblick – Ausblick 244
- Literatur 247
- Tabellen und Abbildungsverzeichnis 276
- Anhang 277
- Abstract 279