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Lebenslagen und Lebensmodellen hat es pädagogisches Handeln in vielfältiger Weise
mit dem Topos der Differenz und dadurch mit Themen wie Unsicherheit, Ambiguität,
Ambivalenz, Unbestimmtheit und nicht zuletzt mit Ungewissheit und Nicht-Wissen
zu tun.“145
Spätestens mit dem Werk „Pädagogik der Vielfalt“ von Annedore Prengel ist die
„Frage von Differenz, Vielfalt und dem Umgang damit im deutschsprachigen pädago-
gischen Diskurs platziert“.146
„Pädagogik der Vielfalt geht aus von der ‚Unbestimmbarkeit der Menschen‘, sie kann
darum nicht diagnostizieren, ‚was jemand ist‘, noch ‚was aus ihr oder ihm werden
soll‘. Sie wendet sich gegen alle Verdinglichungen in Gestalt von Definitionen, was
ein Mädchen, ein Junge, ein Verhaltensgestörter, eine Türkin … sei. Wenn Personen
charakterisiert werden sollen, dann in ihrer Entwicklungsdynamik und in ihrem
Umweltkontext. Nur in ihrer Prozeßhaftigkeit und Umweltinterdependenz lassen sich
Personen adäquat beschreiben.“147
Annedore Prengel formuliert in ihrem Werk „Pädagogik der Vielfalt“ im Anschluss an
die Darstellung der pädagogischen Bewegungen der Interkulturellen Pädagogik, der
Feministischen Pädagogik und der Integrationspädagogik zwölf Thesen, die Facetten
der Differenzvorstellung, die für die drei pädagogischen Bewegungen gültig sind:148 (1)
Der Differenzbegriff wendet sich gegen Hierarchien, es geht um die Entwicklung ega-
litärer Differenz. (2) Differenz impliziert „Offenheit für Unvorhersehbares und Inkom-
mensurables“, sie „will vielfältiges, ‚anderes‘ unabhängig von dem ‚Einen‘, also beide
als heterogene beschreiben“. (3) Mehrere Ebenen menschlicher Heterogenität sind
betroffen, sowohl Differenzen zwischen verschiedenen Gruppen, sowie Untergrup-
pen innerhalb der Gruppen, zwischen Einzelpersonen, zwischen innerpsychischer und
-somatischer Heterogenität verschiedener Persönlichkeitsanteile. (4) Sozialisations-
und Konstruktionstheorie, nicht essentialistische Entwürfe, bilden die Basis für die Dif-
ferenzvorstellung. „Individuelle und kollektive Differenzen zwischen Menschen sind
soziokulturelle Differenzen, Differenz bezeichnet gesellschaftliche Verschiedenheit,
also unterschiedliche Lebensweisen und unterschiedliche Verarbeitung von Lebenser-
fahrungen.“ (5) Differenz bezeichnet dynamische Prozesse, da sich Lebensweisen und
Symbolstrukturen von Kulturen [und Religionen] verändern. (6) Differenz ist historisch
geworden. „Unsere Geschichte besser kennenlernen, heißt uns selber besser kennenler-
145 Ebd., 194f.
146 Pohlkamp, Ines (2012): Differenzsensible/intersektionale Bildung – Ein Theorie-Praxis
Dilemma? Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung „Behinderung ohne Behinderte?!
Perspektiven der Disability Studies“, Universität Hamburg, 29.10.2012, 3. http://www.
zedis-ev-hochschule-hh.de/files/pohlkamp_29102012.pdf [29.06.2015].
147 Prengel, Annedore (32006): Pädagogik der Vielfalt. Verschiedenheit und Gleichberech-
tigung in Interkultureller, Feministischer und Integrativer Pädagogik. Wiesbaden: VS
Verlag für Sozialwissenschaften [1993], 191.
148 Ebd., 181–184.
Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Title
- Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
- Subtitle
- Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Author
- Helena Stockinger
- Publisher
- Waxmann Verlag GmbH
- Location
- Münster
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8309-8648-5
- Size
- 16.5 x 23.5 cm
- Pages
- 280
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Einleitung 11
- Teil I: Theoretische Grundlagen und Begriffsklärungen 12
- 1. Praktisch-theologische Herangehensweise 12
- 2. Ausgangslage der Forschung 14
- 3. Das Recht der Kinder auf Differenz 16
- 4. Chancen und Herausforderungen der Religionspädagogik 17
- 5. Religiöse Differenz in elementaren Bildungseinrichtungen 18
- 6. Begriffliche Klärungen 20
- Teil II: Forschungsstand 41
- 1. Forschungsergebnisse zum Umgang mit religiöser Differenz 41
- 1.1 Ausgewählte Studien mit Kindern im Grundschulalter 42
- 1.2 Empirische Studien mit Kindern in der Elementarpädagogik 46
- 1.2.1 Eva Hoffmann: Interreligiöses Lernen im Kindergarten? 46
- 1.2.2 Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger, Anke Edelbrock: Tübinger Projekte 48
- 1.2.3 David Elkind: Erforschung der Glaubensentwicklung 52
- 1.2.4 Ina ter Avest: Erfahrungen im Umgang mit dem Anderen 53
- 1.2.5 Daniel Bar-Tal: Konzept eines „Arabers“ in Israel 54
- 1.2.6 Paul Connolly et al.: Einstellung gegenüber Gruppen in Nordirland 55
- 1.3 Zusammenfassung der Forschungsergebnisse 58
- 2. Forschungsfrage 60
- 3. Anliegen der Studie 60
- 4. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse 62
- 5. Möglichkeiten und Grenzen der Kindheitsforschung 67
- Teil III: Methodologische Zugänge der Studie 81
- 1. Qualitativ-empirische Forschung 81
- 2. Ethnographischer Zugang 89
- 3. Grounded Theory 90
- 4. Thematisches Kodieren nach Uwe Flick 94
- 5. Begründung der Forschungszugänge 96
- 6. Überblick über die angewendeten Methoden 98
- Teil IV: Untersuchungsdesign und durchführung 108
- 1. Angewendete Methoden bei der Untersuchung 108
- 2. Auswahl der Kindergärten 114
- 3. Untersuchungsdurchführung 117
- 4. Reflexion der Untersuchungsdurchführung 121
- Teil V: Auswertung 124
- 1. Hinweise zur Auswertung in der vorliegenden Studie 124
- 2. Darstellung der Kindergärten 125
- 3. Kurze Fallbeschreibungen 133
- 4. Datenauswertung 149
- Teil VI: Diskussion 183
- 1. Der Kindergarten als Organisation 183
- 2. Plädoyer: Entwicklung einer Kultur der Anerkennung religiöser Differenz 194
- 3. Rückblick – Ausblick 244
- Literatur 247
- Tabellen und Abbildungsverzeichnis 276
- Anhang 277
- Abstract 279