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nen, denn wir sind, was wir geworden sind.“ (7) „Differenz ist nicht einfach da, sondern
die nicht zur dominierenden Kultur gehörenden Lebensformen sind zum Schweigen
gebracht, verdrängt, ausgegrenzt, entwertet, ausgebeutet. Differente Lebensweisen sind
darum immer neu zu entdecken, zur ihnen eigenen Sprache zu bringen und in ihrem
Wert anzuerkennen.“ (8) Das Recht auf Gleichheit und das Recht auf Differenz kommt
den „unterlegenen“ Personen und Gruppen zu, ohne dass diese „moralisch besser oder
besonders wertvoll“ zu sein haben. (9) „Die Wahrnehmung differenter Erfahrungen
bleibt also immer fragmentarisch, unvollendet und begrenzt und kann nicht ans Ziel
einer als endgültige Wahrheit gedachten Authentizität kommen, eben weil kulturelle
Strömungen und die darin eingebetteten Lebensgeschichten sich ständig verändern.“
Der Mensch bleibt unbestimmbar. Da Definitionen „der Vielfalt und Prozeßhaftigkeit
menschlicher Realität nicht gerecht“ werden, bleibt auch die Beschreibung des Phäno-
mens der Differenz unvollkommen, jedoch können „aufschlußreiche Hypothesen im
Hinblick auf den Hauptstrom an Deutungs- und Verhaltensmustern in einem Kollektiv
in einer weit oder eng gefaßten gesellschaftlichen Situation“ gewonnen werden. (10)
Differente kulturelle Lebensweisen beeinflussen einander wechselseitig. (11) Unter-
schiedliche Lebensformen haben das gleiche Recht zu existieren, gesellschaftlich sicht-
bar, anerkannt und wirksam zu sein. „Das Gleichheitspostulat wird auf neue radikale
Weise eingelöst, indem den heterogenen Lebensweisen gleiches Recht zugesprochen
wird. Gleichheit ist damit Bedingung der Möglichkeit von Differenz.“ (12) „Diffe-
renz ohne Gleichheit bedeutet gesellschaftlich Hierarchie, kulturell Entwertung, öko-
nomisch Ausbeutung. Gleichheit ohne Differenz bedeutet Assimilation, Anpassung,
Gleichschaltung, Ausgrenzung von ‚Anderen‘. Aus der Sicht demokratischer Differenz
auf der Basis gleicher Rechte ist darum nicht etwa alles mögliche akzeptabel, alles
beliebig oder gleichgültig. Ein demokratischer Differenzbegriff stellt vielmehr klare
Kriterien der Urteilsbildung zur Verfügung: All jene Tendenzen, die monistisch, tota-
litär, hegemonial, ausbeuterisch und diskriminierend die Gleichberechtigung des Dif-
ferenten zu zerstören trachten, können aus dieser Sicht nur bekämpft werden. Vielfalt
realisiert sich erst in klarer Stellungnahme gegen herrscherliche Übergriffe. Sie ist der
Vision der Gerechtigkeit verpflichtet.“149
Zusammenfassend versucht die Pädagogik der Vielfalt „Missachtung im Bildungs-
wesen zu vermeiden“ und „persönliche Bildungsprozesse, sowie Qualifikations- und
Sozialisationsprozesse“ zu fördern und „versteht sich als Pädagogik der intersubjekti-
ven Anerkennung zwischen gleichberechtigten Verschiedenen.“150
Der Begriff der „egalitären Differenz“151 wurde erstmals von Annedore Prengel152
im Bildungsdiskurs rezipiert.
149 Ebd.
150 Ebd., 62.
151 Vgl. Honneth, Axel (62010): Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik
sozialer Konflikte. Frankfurt am Main: Suhrkamp [1992].
152 Prengel, Annedore (1993): Pädagogik der Vielfalt.
Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Title
- Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
- Subtitle
- Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Author
- Helena Stockinger
- Publisher
- Waxmann Verlag GmbH
- Location
- Münster
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8309-8648-5
- Size
- 16.5 x 23.5 cm
- Pages
- 280
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Einleitung 11
- Teil I: Theoretische Grundlagen und Begriffsklärungen 12
- 1. Praktisch-theologische Herangehensweise 12
- 2. Ausgangslage der Forschung 14
- 3. Das Recht der Kinder auf Differenz 16
- 4. Chancen und Herausforderungen der Religionspädagogik 17
- 5. Religiöse Differenz in elementaren Bildungseinrichtungen 18
- 6. Begriffliche Klärungen 20
- Teil II: Forschungsstand 41
- 1. Forschungsergebnisse zum Umgang mit religiöser Differenz 41
- 1.1 Ausgewählte Studien mit Kindern im Grundschulalter 42
- 1.2 Empirische Studien mit Kindern in der Elementarpädagogik 46
- 1.2.1 Eva Hoffmann: Interreligiöses Lernen im Kindergarten? 46
- 1.2.2 Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger, Anke Edelbrock: Tübinger Projekte 48
- 1.2.3 David Elkind: Erforschung der Glaubensentwicklung 52
- 1.2.4 Ina ter Avest: Erfahrungen im Umgang mit dem Anderen 53
- 1.2.5 Daniel Bar-Tal: Konzept eines „Arabers“ in Israel 54
- 1.2.6 Paul Connolly et al.: Einstellung gegenüber Gruppen in Nordirland 55
- 1.3 Zusammenfassung der Forschungsergebnisse 58
- 2. Forschungsfrage 60
- 3. Anliegen der Studie 60
- 4. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse 62
- 5. Möglichkeiten und Grenzen der Kindheitsforschung 67
- Teil III: Methodologische Zugänge der Studie 81
- 1. Qualitativ-empirische Forschung 81
- 2. Ethnographischer Zugang 89
- 3. Grounded Theory 90
- 4. Thematisches Kodieren nach Uwe Flick 94
- 5. Begründung der Forschungszugänge 96
- 6. Überblick über die angewendeten Methoden 98
- Teil IV: Untersuchungsdesign und durchführung 108
- 1. Angewendete Methoden bei der Untersuchung 108
- 2. Auswahl der Kindergärten 114
- 3. Untersuchungsdurchführung 117
- 4. Reflexion der Untersuchungsdurchführung 121
- Teil V: Auswertung 124
- 1. Hinweise zur Auswertung in der vorliegenden Studie 124
- 2. Darstellung der Kindergärten 125
- 3. Kurze Fallbeschreibungen 133
- 4. Datenauswertung 149
- Teil VI: Diskussion 183
- 1. Der Kindergarten als Organisation 183
- 2. Plädoyer: Entwicklung einer Kultur der Anerkennung religiöser Differenz 194
- 3. Rückblick – Ausblick 244
- Literatur 247
- Tabellen und Abbildungsverzeichnis 276
- Anhang 277
- Abstract 279