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Sowohl der forschenden Person als auch dem Kind kommen die gleiche Würde und,
mit dieser verbunden, die gleichen Rechte zu. Dies kann sich im Forschungsprozess
in Wertschätzung der Person, deren Aussagen, deren Bedürfnisse, Wünsche, Ängste
etc. ausdrücken. Die am Forschungsprozess teilnehmenden Personen befinden sich auf
derselben Ebene, auf der Ebene der Würde jeder Person, unabhängig von Leistung,
Alter, Status etc. „Die Idee der Anerkennung in demokratischen, egalitären Verhält-
nissen zeichnet sich durch eine Balance wechselseitiger Anerkennung aus, die darauf
beruht, dass beide ‚x‘ und ‚y‘ sich selbst und die andere Person anerkennen.“318
Die differenzierende Anerkennung zeigt sich folgendermaßen: Wenn gegenseitiges
Kennenlernen stattfindet, lernen sich die an der Interaktion Beteiligten trotzdem nie
vollständig kennen, da der andere immer unbestimmbar und unbekannt bleiben wird.
Lässt sich der Forschende tatsächlich auf Kindheitsforschung ein, sind sowohl der
Prozess des Forschens als auch das Ergebnis des Forschungsprozesses nicht vorher-
sagbar, nicht im Voraus bestimmbar. Wie auch pädagogisches Handeln oftmals andere
Wirkungen zeigt als erwartet, so kann auch der Prozess der Forschung andere Situatio-
nen und Ergebnisse mit sich bringen, wenn die forschende Person diesen gegenüber
offen ist und möglichst unvoreingenommen bzw. im Bewusstsein der Vorannahmen, in
den Forschungsprozess tritt. Wird die Verschiedenheit jedes Kindes ernst genommen,
kann nicht auf Sicherheiten zurückgegriffen werden, sondern jeder Forschungsprozess
bedeutet ein Wagnis. „Ungewissheit gehört mit zur Struktur der Anerkennung.“319
Die Annahme, dass Verschiedenheit normal ist,320 gilt auch als Voraussetzung in
der Kindheitsforschung. Im Forschungsprozess erfolgt eine Konfrontation mit dem
Gegenüber und dessen Anderssein. Die Anerkennung ist „auf Heterogenes, also auf
Verschiedenes, Veränderliches, Unbekanntes und Unvorhersehbares“ bezogen.321
Neben der Unterschiedlichkeit der Kinder, wodurch jeder Forschungsprozess ein
Wagnis mit offenem Ausgang darstellt, darf auch die Differenz zwischen Erwachsenen
und Kindern im Forschungsprozess nicht nivelliert werden.
318 Prengel, Annedore (2007): „Ohne Angst verschieden sein?“ – Mehrperspektivische
Anerkennung von Schulleistungen in einer Pädagogik der Vielfalt. In: Hafeneger, Benno/
Henkenborg, Peter/Scherr, Albert (Hg.): Pädagogik der Anerkennung. Grundlagen, Kon-
zepte, Praxisfelder. Schwalbach/Ts.: Wochenschauverlag, 204.
319 Prengel, Annedore (2005): Anerkennung von Anfang an. In: Geiling, Ute/Hinz, Andreas:
Integrationspädagogik im Diskurs, 16.
320 Das Werk „Pädagogik der Vielfalt“ von Annedore Prengel erschien 1993, die dritte
Auflage 2006. Das 1994 stattfindende 4. Würzburger Symposium trug den Titel „Normal
ist, verschieden zu sein“ und der Dokumentationsband erschien im selben Jahr. Der
Ausdruck kommt aus der damals so benannten Heil- und Sonderpädagogik. „Es ist
normal, verschieden zu sein“ war der Titel der Ansprache des damaligen deutschen Bun-
despräsidenten Richard von Weizsäcker bei der Eröffnungsveranstaltung der Tagung der
Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte, 1. Juli 1993, Gustav-Heinemann-Haus
in Bonn.
321 Prengel, Annedore (2005): Anerkennung von Anfang an. In: Geiling, Ute/Hinz, Andreas
(Hg.): Integrationspädagogik im Diskurs, 20.
Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Title
- Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
- Subtitle
- Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Author
- Helena Stockinger
- Publisher
- Waxmann Verlag GmbH
- Location
- Münster
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8309-8648-5
- Size
- 16.5 x 23.5 cm
- Pages
- 280
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Einleitung 11
- Teil I: Theoretische Grundlagen und Begriffsklärungen 12
- 1. Praktisch-theologische Herangehensweise 12
- 2. Ausgangslage der Forschung 14
- 3. Das Recht der Kinder auf Differenz 16
- 4. Chancen und Herausforderungen der Religionspädagogik 17
- 5. Religiöse Differenz in elementaren Bildungseinrichtungen 18
- 6. Begriffliche Klärungen 20
- Teil II: Forschungsstand 41
- 1. Forschungsergebnisse zum Umgang mit religiöser Differenz 41
- 1.1 Ausgewählte Studien mit Kindern im Grundschulalter 42
- 1.2 Empirische Studien mit Kindern in der Elementarpädagogik 46
- 1.2.1 Eva Hoffmann: Interreligiöses Lernen im Kindergarten? 46
- 1.2.2 Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger, Anke Edelbrock: Tübinger Projekte 48
- 1.2.3 David Elkind: Erforschung der Glaubensentwicklung 52
- 1.2.4 Ina ter Avest: Erfahrungen im Umgang mit dem Anderen 53
- 1.2.5 Daniel Bar-Tal: Konzept eines „Arabers“ in Israel 54
- 1.2.6 Paul Connolly et al.: Einstellung gegenüber Gruppen in Nordirland 55
- 1.3 Zusammenfassung der Forschungsergebnisse 58
- 2. Forschungsfrage 60
- 3. Anliegen der Studie 60
- 4. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse 62
- 5. Möglichkeiten und Grenzen der Kindheitsforschung 67
- Teil III: Methodologische Zugänge der Studie 81
- 1. Qualitativ-empirische Forschung 81
- 2. Ethnographischer Zugang 89
- 3. Grounded Theory 90
- 4. Thematisches Kodieren nach Uwe Flick 94
- 5. Begründung der Forschungszugänge 96
- 6. Überblick über die angewendeten Methoden 98
- Teil IV: Untersuchungsdesign und durchführung 108
- 1. Angewendete Methoden bei der Untersuchung 108
- 2. Auswahl der Kindergärten 114
- 3. Untersuchungsdurchführung 117
- 4. Reflexion der Untersuchungsdurchführung 121
- Teil V: Auswertung 124
- 1. Hinweise zur Auswertung in der vorliegenden Studie 124
- 2. Darstellung der Kindergärten 125
- 3. Kurze Fallbeschreibungen 133
- 4. Datenauswertung 149
- Teil VI: Diskussion 183
- 1. Der Kindergarten als Organisation 183
- 2. Plädoyer: Entwicklung einer Kultur der Anerkennung religiöser Differenz 194
- 3. Rückblick – Ausblick 244
- Literatur 247
- Tabellen und Abbildungsverzeichnis 276
- Anhang 277
- Abstract 279