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nen Schülern durchgeführten Untersuchungen gelten als die historisch älteste Form
der qualitativen Organisationsanalyse. Zu Beginn der 1950er Jahre wurde das Grup-
pendiskussionsverfahren zum ersten Mal im deutschsprachigen Raum als Erhebungs-
methode angewendet.494 Mit der Neukonzipierung des Gruppendiskussionsverfahrens
durch Werner Mangold495 rückte die Erforschung von kollektiv verankerten Orien-
tierungen im Unterschied zu individuellen Meinungen von Einzelnen in den Vorder-
grund. Ralf Bohnsack stellte das Gruppendiskussionsverfahren auf eine theoretisch-
methodische Grundlage.496
Gruppendiskussionsverfahren sind „durch eine Verschränkung zweier Diskurse
gekennzeichnet“, erstens „des Diskurses der Forscherinnen mit den Untersuchten“
und zweitens „des Diskurses der Untersuchten, also der Gruppendiskussionsteilneh-
mer untereinander.“497 In Realgruppen befinden sich deren Mitglieder auch abseits der
Untersuchungssituation in sozialen Zusammenhängen und interagieren miteinander,
weshalb sie eine konkrete, kollektiv geteilte Erfahrungsbasis teilen, an die Fragestel-
lungen unmittelbar anschließen können.498 Durch Gruppendiskussionsverfahren wird
versucht, kulturelle kollektive Handlungspraxis in den realen Gruppen zu rekonstruie-
ren, um reflexives und handlungsleitendes Wissen zu erfassen.499 „Mit dem Gruppen-
diskussionsverfahren sollen also kollektive Orientierungen in bestimmten Gruppen
rekonstruiert werden, da diese als kulturelle Handlungspraxis mehrerer Akteure
Geltung haben und in einen Zusammenhang gebracht werden können.“500
Vier Hypothesen liegen der Einführung des Gruppendiskussionsverfahrens
zugrunde: Meinungen entstehen stets als Wechselwirkung zwischen dem Einzelnen
und der Gesellschaft. Erst durch die Auseinandersetzung mit dem anderen werden
Einstellungen bewusst. Indem Situationen hergestellt werden, die an die Realität, in
der die Einstellungen ausgetauscht und aktiviert werden, anknüpfen, können diese
494 Vgl. Pollock, Friedrich (Hg.) (1995): Gruppenexperiment: Ein Studienbericht. Bearbeitet
von Friedrich Pollock. Mit einem Geleitwort von Franz Böhm. Frankfurter Beiträge zur
Soziologie, im Auftrag des Instituts für Sozialforschung herausgegeben von Theodor W.
Adorno und Walter Dirks, Bd. 2. Frankfurt am Main: Europäische Verlagsanstalt.
495 Vgl. Mangold, Werner (1960): Gegenstand und Methode des Gruppendiskussions-
verfahrens: aus der Arbeit des Instituts für Sozialforschung, Bd. 9 Frankfurt am Main:
Europäische Verlagsanstalt.
496 Vgl. Bohnsack, Ralf/Nentwig-Gesemann, Iris/Nohl, Arnd-Michael (Hg.) (32013): Die
dokumentarische Methode und ihre Untersuchungspraxis. Grundlagen qualitativer
Sozialforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften; Bohnsack, Ralf/
Przyborski, Aglaja/Schäffer, Burkhard (22010): Das Gruppendiskussionsverfahren in der
Forschungspraxis.
497 Vgl. Przyborski, Aglaja/Wohlrab-Sahr, Monika (2014): Qualitative Sozialforschung, 105f.
498 Vgl. Liebig, Brigitte/Nentwig-Gesemann, Iris (2009): Gruppendiskussion. In: Kühl,
Stefan/Strodtholz, Petra/Taffertshofer, Andreas: Handbuch Methoden der Organisations-
forschung, 102–123, 105.
499 Vgl. Bock, Karin (2010): Kinderalltag – Kinderwelten, 105.
500 Bock, Karin (2010): Kinderalltag – Kinderwelten, 112.
Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Title
- Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
- Subtitle
- Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Author
- Helena Stockinger
- Publisher
- Waxmann Verlag GmbH
- Location
- Münster
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8309-8648-5
- Size
- 16.5 x 23.5 cm
- Pages
- 280
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Einleitung 11
- Teil I: Theoretische Grundlagen und Begriffsklärungen 12
- 1. Praktisch-theologische Herangehensweise 12
- 2. Ausgangslage der Forschung 14
- 3. Das Recht der Kinder auf Differenz 16
- 4. Chancen und Herausforderungen der Religionspädagogik 17
- 5. Religiöse Differenz in elementaren Bildungseinrichtungen 18
- 6. Begriffliche Klärungen 20
- Teil II: Forschungsstand 41
- 1. Forschungsergebnisse zum Umgang mit religiöser Differenz 41
- 1.1 Ausgewählte Studien mit Kindern im Grundschulalter 42
- 1.2 Empirische Studien mit Kindern in der Elementarpädagogik 46
- 1.2.1 Eva Hoffmann: Interreligiöses Lernen im Kindergarten? 46
- 1.2.2 Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger, Anke Edelbrock: Tübinger Projekte 48
- 1.2.3 David Elkind: Erforschung der Glaubensentwicklung 52
- 1.2.4 Ina ter Avest: Erfahrungen im Umgang mit dem Anderen 53
- 1.2.5 Daniel Bar-Tal: Konzept eines „Arabers“ in Israel 54
- 1.2.6 Paul Connolly et al.: Einstellung gegenüber Gruppen in Nordirland 55
- 1.3 Zusammenfassung der Forschungsergebnisse 58
- 2. Forschungsfrage 60
- 3. Anliegen der Studie 60
- 4. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse 62
- 5. Möglichkeiten und Grenzen der Kindheitsforschung 67
- Teil III: Methodologische Zugänge der Studie 81
- 1. Qualitativ-empirische Forschung 81
- 2. Ethnographischer Zugang 89
- 3. Grounded Theory 90
- 4. Thematisches Kodieren nach Uwe Flick 94
- 5. Begründung der Forschungszugänge 96
- 6. Überblick über die angewendeten Methoden 98
- Teil IV: Untersuchungsdesign und durchführung 108
- 1. Angewendete Methoden bei der Untersuchung 108
- 2. Auswahl der Kindergärten 114
- 3. Untersuchungsdurchführung 117
- 4. Reflexion der Untersuchungsdurchführung 121
- Teil V: Auswertung 124
- 1. Hinweise zur Auswertung in der vorliegenden Studie 124
- 2. Darstellung der Kindergärten 125
- 3. Kurze Fallbeschreibungen 133
- 4. Datenauswertung 149
- Teil VI: Diskussion 183
- 1. Der Kindergarten als Organisation 183
- 2. Plädoyer: Entwicklung einer Kultur der Anerkennung religiöser Differenz 194
- 3. Rückblick – Ausblick 244
- Literatur 247
- Tabellen und Abbildungsverzeichnis 276
- Anhang 277
- Abstract 279