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die Hände so zu halten, wie sie dies von zu Hause gewohnt seien. Dennoch machten
die Kinder manchmal ein Kreuzzeichen, obwohl sie zu Hause nicht so beten würden.
Die Pädagoginnen wissen nicht, ob die Eltern und Kinder es gutheißen würden,
wenn die Feste ihrer Religion im Kindergarten gefeiert würden. Sie sehen es als Auf-
gabe der Eltern, den Kindern die religiösen Ausdrucksformen der jeweiligen Religion
zu erklären und meinen, selbst zu geringes und ausschließlich oberflächliches Wissen
über andere Religionen zu besitzen, weshalb sie es vorzogen, über diese zu schweigen,
anstatt den Kindern „Blödsinn“623 zu erzählen. Eine Pädagogin tritt dafür ein, nicht
alle Feste im Kindergarten zu feiern, da es zu viele wären, aber im Morgenkreis kurz
zu besprechen, welches Fest am jeweiligen Tag gefeiert werde und den Kindern, die
dieses Fest feiern, die Möglichkeit zu geben, davon zu erzählen. Die andere Pädagogin
gibt zu bedenken, dies bereits versucht zu haben, dass die Kinder im Morgenkreis,
wenn sie Feste thematisiere, allerdings nichts von diesen erzählten. Als Grund hierfür
vermutet sie, dass es den Kindern peinlich sei, davon zu sprechen, weil sie merkten,
ein bisschen anders zu sein. Auch auf die Frage, welche Gotteshäuser die Kinder
besuchten, bekomme die Pädagogin von den Kindern keine Antwort. Die Kinder seien
an anderen Religionen nicht wirklich interessiert, sie hörten zwar zu, seien aber an
anderen Dingen mehr interessiert. Dies habe sich beispielsweise bei einem Spazier-
gang gezeigt, bei dem sie an einer Moschee vorbeigekommen seien und die Pädagogin
ihnen etwas über diese zu erklären versucht habe, der vorbeischwimmende Schwan
die Kinder aber mehr interessiert hätte. Bei einem Moscheebesuch im vergangenen
Jahr seien die nichtmuslimischen Kinder zuerst an der Moschee interessiert gewesen,
hätten sich allerdings bald den muslimischen Kindern, die in der Moschee herumge-
laufen seien, angeschlossen. Die älteren Frauen, die den Kindern das Herumlaufen
erlaubt hätten, hätten ausschließlich den Pädagoginnen etwas über die Moschee erklärt.
Die Pädagogin habe nach dem Besuch das Gefühl beschlichen, in einer Turnstunde
gewesen zu sein. Die Pädagogin sei von dieser Situation befremdet gewesen, da sie
vorher noch nie in einer Moschee gewesen sei und das Verhalten, das die Kinder in der
Moschee zeigten, in einer Kirche nicht hätte sein dürfen, da sich Kinder in der Kirche
„normal“ verhalten.624 Die Kinder fragten manchmal, warum bestimmte Kinder kein
Fleisch essen würden, worauf die Pädagogin als Grund auf das Verbot der Mutter des
Kindes verweise. Diese Erklärung „funktioniert recht gut“625 und es sei nach Meinung
der Pädagogin dasselbe, wenn Kinder Allergien oder eine Zuckerkrankheit hätten. Mit
der Aufnahme eines Kindes in den Kindergarten müsse auch ein passendes Essen für
dieses Kind gewährleistet sein und das Kind solle nicht ausschließlich ein Butterbrot
vorgesetzt bekommen, was allerdings in einem kleinen Kindergarten schwierig umzu-
setzen sei, da viele unterschiedliche Anforderungen, insbesondere innerislamische,
an das Essen gestellt werden würden. Für das geplante Osterfest sei es schwierig
gewesen, eine Person zu finden, die bereit gewesen sei, dieses mit den Kindern zu
623 Gruppendiskussion mit Pädagoginnen im Kindergarten in katholischer Trägerschaft, 267.
624 Ebd., 209.
625 Ebd., 63f.
Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Title
- Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
- Subtitle
- Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Author
- Helena Stockinger
- Publisher
- Waxmann Verlag GmbH
- Location
- Münster
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8309-8648-5
- Size
- 16.5 x 23.5 cm
- Pages
- 280
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Einleitung 11
- Teil I: Theoretische Grundlagen und Begriffsklärungen 12
- 1. Praktisch-theologische Herangehensweise 12
- 2. Ausgangslage der Forschung 14
- 3. Das Recht der Kinder auf Differenz 16
- 4. Chancen und Herausforderungen der Religionspädagogik 17
- 5. Religiöse Differenz in elementaren Bildungseinrichtungen 18
- 6. Begriffliche Klärungen 20
- Teil II: Forschungsstand 41
- 1. Forschungsergebnisse zum Umgang mit religiöser Differenz 41
- 1.1 Ausgewählte Studien mit Kindern im Grundschulalter 42
- 1.2 Empirische Studien mit Kindern in der Elementarpädagogik 46
- 1.2.1 Eva Hoffmann: Interreligiöses Lernen im Kindergarten? 46
- 1.2.2 Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger, Anke Edelbrock: Tübinger Projekte 48
- 1.2.3 David Elkind: Erforschung der Glaubensentwicklung 52
- 1.2.4 Ina ter Avest: Erfahrungen im Umgang mit dem Anderen 53
- 1.2.5 Daniel Bar-Tal: Konzept eines „Arabers“ in Israel 54
- 1.2.6 Paul Connolly et al.: Einstellung gegenüber Gruppen in Nordirland 55
- 1.3 Zusammenfassung der Forschungsergebnisse 58
- 2. Forschungsfrage 60
- 3. Anliegen der Studie 60
- 4. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse 62
- 5. Möglichkeiten und Grenzen der Kindheitsforschung 67
- Teil III: Methodologische Zugänge der Studie 81
- 1. Qualitativ-empirische Forschung 81
- 2. Ethnographischer Zugang 89
- 3. Grounded Theory 90
- 4. Thematisches Kodieren nach Uwe Flick 94
- 5. Begründung der Forschungszugänge 96
- 6. Überblick über die angewendeten Methoden 98
- Teil IV: Untersuchungsdesign und durchführung 108
- 1. Angewendete Methoden bei der Untersuchung 108
- 2. Auswahl der Kindergärten 114
- 3. Untersuchungsdurchführung 117
- 4. Reflexion der Untersuchungsdurchführung 121
- Teil V: Auswertung 124
- 1. Hinweise zur Auswertung in der vorliegenden Studie 124
- 2. Darstellung der Kindergärten 125
- 3. Kurze Fallbeschreibungen 133
- 4. Datenauswertung 149
- Teil VI: Diskussion 183
- 1. Der Kindergarten als Organisation 183
- 2. Plädoyer: Entwicklung einer Kultur der Anerkennung religiöser Differenz 194
- 3. Rückblick – Ausblick 244
- Literatur 247
- Tabellen und Abbildungsverzeichnis 276
- Anhang 277
- Abstract 279